Die Schnelligkeit der Schnecke
den Arzt besteht kein Zweifel. Er ist vergiftet worden. Vertrau mir.«
»Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser«, gab Del Tacca zurück und wendete damit meisterlich einen weiteren Grundpfeiler der Theorie der Bargespräche an, nämlich den Rekurs auf ein Sprichwort oder eine Redensart, die man als Hebel an den Schwachpunkten des dialektischen Apparates des Gesprächspartners ansetzt (abgesehen davon, dass man damit das Wort an sich reißt) und so Schritt für Schritt dessen Argumentation aus den Angeln hebt. »Du vertraust dem Doktor nicht, wenn er dir sagt, du hättest hohen Blutdruck, und dann vertraust du ihm, wenn er dir sagt, sie hätten einen vergiftet. Weißt du noch, was beim letzten Mal passiert ist, als wir einem Doktor vertraut haben?«
»Es ist ja nicht so, dass ich dem Doktor nicht glaube, du Dickkopf. Ich höre nicht auf ihn. Das ist was anderes.«
»Aber entschuldige«, warf Tiziana ein, »warum ...«
Und hier hätte Tiziana gerne gefragt, warum etwas so Kompliziertes wie Tavor, wenn es doch so viele gute Gifte gibt, um jemanden zu ermorden, erst recht bei einem Kongress, bei dem es so viele Gelegenheiten und so viele mögliche Verdächtige gibt. Doch im selben Augenblick sah man hinter der Tür durch den Regen einen Mann mit einer K-Way-Regenjacke im Blau der Verkehrspolizei, der sofort die Aufmerksamkeit auf sich zog. Zumindest die Aufmerksamkeit von Massimo und Aldo. Massimo warf Aldo einen bitterbösen Blick zu, während Letzterer seelenruhig an seiner Zigarette zog, als wollte er sagen: »Ich stehe zu meiner Verantwortung.« In der Zwischenzeit hatte der Mann unter dem Bogengang Schutz vor dem Regen gesucht und lehnte gerade ein Fahrrad an einen Pfeiler.
»Wenn das ein Polizist ist, zahlst du die Strafe.«
»Das ist kein Polizist«, erwiderte Aldo beruhigend. »Ich kenne die alle.«
In der Zwischenzeit, nachdem das Rad fest vertäut war, rieb sich der blaue K-Way die Hände und trat in die Bar ein.
»Salve«, sagte er und streifte die Kapuze zurück. Es war kein Polizist. Massimo kannte sie ebenfalls alle. Aber er kam ihm irgendwie bekannt vor, wenn auch nur entfernt. Während Massimo noch darüber nachdachte, wo zum Teufel er diesen Typen schon gesehen hatte und ob er ihn wirklich irgendwo gesehen hatte, legte der Vorgenannte den K-Way ab, und Massimos Zweifel lösten sich in Luft auf. Mit diesem völlig verkrumpelten orangefarbenen T-Shirt konnte der potenzielle Kunde niemand anderes sein als der gesprächige und freundliche Professor A.C.J. Snijders.
»Einen caffè lungo , bitte. Und ... habt ihr Cornetti?«
»Sind gerade fertig. Einen caffè lungo , haben Sie gesagt?«, fragte Tiziana, nicht etwa, weil sie es nicht verstanden hätte, sondern weil sie seit 2002 niemanden mehr einen caffè lungo hatte bestellen hören, seit ihr Brötchengeber einem unbedachten piemontesischen Touristen einen überaus pedantischen wie unverlangten Vortrag über die Barbarei des Trinkens von verdünntem Kaffee gehalten hatte. Der Tourist hatte so getan, als hätte er verstanden, und daraufhin einen extrastarken caffè ristretto und ein Glas Mineralwasser bestellt. Dann hatte er den Kaffee in das Mineralwasser geschüttet, das Glas in einem Zug ausgetrunken und war gegangen, ohne zu bezahlen.
»Ja, danke. Und drei Cornetti.«
»Meine Güte!«, rief Ampelio und beugte sich auf seinem Stock nach vorn. »Bist du ausgesperrt worden?«
»Wie bitte?«
»Achten Sie nicht auf ihn«, mischte Massimo sich ein in der Hoffnung, wieder klarstellen zu können, dass die Bar ihm gehörte. »Dieser Greis auf drei Beinen hat sich nur gefragt, ob die alle für Sie sind. Wissen Sie, die Leute hier kümmern sich nicht mal dann um ihre eigenen Angelegenheiten, wenn man sie totschlägt.«
»Ah, verstanden«, antwortete Snijders nicht im Mindesten beunruhigt. »Ja, die sind für mich. Ich muss gut frühstücken. Ich möchte Pisa besuchen und dort nicht zu Mittag essen. Touristenstadt. Sehr teuer.«
»Und wie kommen Sie nach Pisa?«, fragte Pilade.
»Damit. Ich hab es im Hotel gemietet«, antwortete Snijders und zeigte auf das Fahrrad.
»Mit dem Fahrrad bis nach Pisa? Bei dem Regen?«, fragte Tiziana ungläubig.
»Warum nicht? Ich bin doch nicht aus Zucker.«
»Ha, das fehlte noch«, applaudierte Ampelio, der sich offensichtlich darüber freute, in dieser Zeit der Laster und Perversionen, wie zum Beispiel dem Autofahren, jemanden zu treffen, der das Fahrrad noch als Fortbewegungsmittel nutzte. »Das sind nicht
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