Die Schöne des Herrn (German Edition)
zu essen, schon aus reiner Höflichkeit.«
Ja, das Diner lag ihm schwer im Magen, der Kaviar und dieses Gratin und dann dieses Wachtel-Confit und der Rehbraten, alles eben. Eigentlich hatte er vor allem deswegen so viel gegessen, weil sie sich angeschwiegen hatten. Wenn sie da gewesen wäre, hätte es bei Tisch wenigstens eine Unterhaltung gegeben. Und außerdem hatte er vor lauter Aufregung nicht genügend gekaut. Wenn er erst im Schlafwagen war, würde er doppeltkohlensaures Natron nehmen, er hatte welches in dem kleinen Koffer für den Notfall, und beim Schaffner eine Viertelliterflasche Vichy bestellen. Er hätte ihr nicht sagen sollen, dass sie böse sei, und sie verfluchen. Damit war er entschieden zu weit gegangen. Sie war eben eine Frau und hatte ihre Launen, wahrscheinlich war es wieder einmal so weit, ihre Unpässlichkeit, ihr Drache, wie sie sagte. Gut, er würde ihr nett aus Paris schreiben. Ja, dieses verdammte Schweigen unten war schuld, aber als sie hinaufgegangen waren, hatte sich der U.G.S. sehr liebenswürdig und gesprächig gezeigt. Er hatte sehr nett von dem Nest erzählt, wo er herkam. Komische Vorstellung, in Kephalonia geboren zu sein.
»Das Tollste, mein Alter, war, dass er mir sagte, wir könnten mal zusammen dorthin fahren.«
Für eine persönliche Beziehung nicht schlecht! Falls diese gemeinsame Reise jemals zustande kommen sollte, könnte er mit ihm über die Umorganisierung der Abteilung reden und ihm alles sagen, was nicht funktionierte, besonders was die Dokumentation betraf. Sie würden beide im Sand liegen am Meer, das erleichterte die Dinge. Im Sand könnte er ihm sogar ganz offen sagen, was er von Vauvau hielt, von seinem Mangel an Dynamik, er könnte seine ganze Kritik anbringen, wenn er sich mit dem Boss in der Sonne aalte. Intimität, Vertrauen, nichts Amtliches. Ganz auf persönlicher Ebene. Na, er braucht aber ganz schön lange, um seinen Schlafrock überzuziehen. Sobald er kommt, sich selbstsicher zeigen und möglichst glänzen. Aber aufgepasst, Vorsicht mit Picasso, zuerst einmal das Terrain sondieren, Gutes und Schlechtes sagen und sehen, wie der Boss reagiert. Gegebenenfalls auf die drei auswendig gelernten Sätze aus der Zeitschrift verzichten. Doch nett vom Boss vorzuschlagen, zusammen in Kephalonia zu baden. Eine hübsche Idee, ein hohes Tier und ein simpler A, die zusammen im Meer baden, sich rufen und miteinander scherzen! Und dann nebeneinander im Sand liegen, wie zwei alte Kumpel, miteinander plaudern und den Sand durch die Finger rieseln lassen.
»Auf diese Weise, mein Alter, werde ich mit Sicherheit zum Rat befördert, das garantiere ich dir!«
***
Er erhob sich, beeindruckt von dem prächtigen Schlafrock aus schwerer schwarzer Seide, der ihm bis zu den in Hausschuhen steckenden nackten Füßen reichte, während man zwischen den Revers die nackte Brust sah. Auf eine Geste Solals hin nahm er wieder in einem Sessel Platz, affektiert und hingerissen, saugte seinen Speichel mit kleinen respektvollen Zischlauten ein, schlug die Beine übereinander und stellte sie wieder nebeneinander, während der annamitische Diener mit schokoladenfarbenem Lächeln Kaffee und Cognac servierte. Um die Stille auszufüllen, nahm der junge Beamte seine Tasse und trank höflich, darauf bedacht, kein Geräusch zu machen. Dann nahm er eine Zigarette, die ihm schweigend angeboten wurde, zündete sie mit zitternden Fingern an, rauchte ein paar Züge und blickte von Zeit zu Zeit verstohlen seinen Gastgeber an, der einen Rosenkranz aus Bernstein durch die Finger gleiten ließ. Was war jetzt wieder los? Warum sprach er nicht mehr? Eben noch so wohlwollend und jetzt kein Wort.
Gelähmt von diesem Schweigen, dem schrecklichen Beweis, dass sein Chef sich mit ihm langweilte, wusste Adrien Deume nichts zu sagen und lächelte daher vor sich hin. Ein armes, starres Lächeln, Zuflucht und letztes Hilfsmittel der Schwachen, die gefallen wollen und Gnade suchen, ein anhaltendes weibliches Lächeln, dessen er sich nicht einmal bewusst war, ein unterwürfiges Lächeln, zugleich Beweis für seinen bedingungslosen guten Willen und Zeichen des Vergnügens, das er selbst in der stummen Gesellschaft seines Vorgesetzten empfand. Er lächelte und war todunglücklich. Um den Bann zu brechen und das Schweigen zu füllen oder um sich natürlich und ungezwungen zu zeigen oder um sich Mut zu machen und endlich etwas sagen zu können, kippte er seinen Cognac in einem einzigen tragischen Zug nach Kosakenart
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