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Die Schöne des Herrn (German Edition)

Die Schöne des Herrn (German Edition)

Titel: Die Schöne des Herrn (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Albert Cohen
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hinunter, was sofort einen Hustenanfall auslöste. Mein Gott, worüber sollte er sprechen? Proust, schon erledigt, über ihn hatte er unten bei Tisch gesprochen. Mozart und Vermeer dito. Picasso, das wagte er nicht, es war zu riskant. Er erinnerte sich an kein anderes der Gesprächsthemen, die er sorgfältig auf dem kleinen Zettel notiert und durchnummeriert hatte. Er schnitt diskrete Grimassen, wie einer, der Verstopfung hat, um sein Gedächtnis zu aktivieren, doch vergeblich. Er stützte die Hand auf die Hüfte und spürte den rettenden Zettel, spürte, wie er in der Tasche seines Smokings existierte und knisterte, aber wie sollte er ihn herausnehmen, ohne ertappt zu werden? Sollte er sagen, er wolle sich rasch die Hände waschen, und schnell einen Blick darauf werfen? Nein, das war zu peinlich, und außerdem würde es ordinär wirken. Die Stille war erschreckend, und er fühlte sich dafür verantwortlich. Nachdem er tiefsinnig den Grund seines Glases betrachtet hatte, traute er sich, seinem Vorgesetzten einen schüchternen Blick zuzuwerfen.
    »Sie schreiben, lieber Freund, nicht wahr?«, fragte Solal.
    »Ein bisschen«, erwiderte der liebe Freund mit dem Lächeln eines Päderasten, völlig überwältigt von dieser schmeichelhaften Anrede, und seine Augen glänzten feucht vor Dankbarkeit. »Das heißt, soweit es mir meine beruflichen Verpflichtungen erlauben. Oh, bis jetzt habe ich nur ein paar Gedichte verbrochen (er lächelte zart), aber natürlich nur in meinen Mußestunden. Ein schmaler, im vorigen Jahr veröffentlichter Band in beschränkter Auflage und nicht im Handel. Zu meinem Vergnügen und, wie ich hoffe, auch zu dem einiger meiner Freunde. Gedichte reinen Ausdrucks, nicht der Mitteilung. (Gerührt von dieser edlen Formulierung, saugte er aufs neue vornehm etwas Speichel ein und beschloss, zu einem kühnen Schlag auszuholen.) Ich würde mich glücklich schätzen, Ihnen ein Exemplar auf japanischem Reispapier zu widmen, falls Sie es mir gestatten. (Durch ein Nicken ermutigt, beschloss er, seinen Vorteil auszunutzen und das Eisen zu schmieden, solange es heiß war.) Aber ich beabsichtige, einen Roman zu schreiben, natürlich auch in meinen Mußestunden. Es wird ein Werk sui generis sein, denke ich, ohne Ereignisse und in gewisser Weise auch ohne handelnde Personen. Ich lehne entschieden alle herkömmlichen Formen ab«, schloss er, infolge des Cognacs plötzlich kühn geworden, ließ die Zungenspitze hervorschnellen und zog sie wieder zurück.
    Erneut herrschte Schweigen, und der Arme, eben noch so Tollkühne spürte, dass er den Boss mit seinem Romanprojekt nicht beeindruckt hatte. Er ergriff sein Glas, führte es an die Lippen, sah, dass es leer war, und stellte es wieder auf den Tisch.
    »Ehrlich gesagt, habe ich noch keinen definitiven Entschluss gefasst. Es ist immerhin möglich, dass ich mich doch einer klassischeren Form bedienen werde. Ich denke nämlich an einen Roman über Don Juan, eine Gestalt, die mich seit langem beschäftigt, von der ich nicht loskomme, die sich sozusagen meiner bemächtigt hat. (Ein prüfender Blick auf den ausdruckslosen Solal.) Aber was mich am meisten interessiert, ist im Grunde doch meine Arbeit in der Mandatsabteilung«, sagte er, schüchtern lächelnd, »eine wirklich faszinierende Arbeit.«
    »Ein Roman über Don Juan. Sehr gut, Adrien.«
    Der junge Beamte zuckte zusammen. Sein Vorname! Jetzt war es soweit! Persönliche Beziehungen!
    »Ich denke sehr viel daran, ich habe mir schon eine Menge Notizen gemacht«, sagte der zukünftige Romanschriftsteller feurig und hingerissen vor Begeisterung über die plötzlich offenbarte Größe seines Themas.
    Ja, jetzt war es soweit! Er sah das Foto mit Widmung schon am Horizont. Nur nicht reden, warten, bis er gefragt wurde. Der Boss dachte gerade über Don Juan nach und würde ihm gleich eine Frage stellen, das spürte er. Natürlich nicht gleich Rat. Vielleicht im nächsten Jahr. In der Zwischenzeit sich voll und ganz dem
Don Juan
widmen, da der Boss sich dafür interessierte. Gleich nach der Rückkehr von der Dienstreise ein paar Kapitel verfassen und sie ihm zeigen. Das gäbe Gelegenheit zu freundschaftlichen Gesprächen, zu Diskussionen sogar, in denen jeder seinen Standpunkt verteidigte. »Aber nein, lieber Freund, durchaus nicht, da bin ich ganz anderer Meinung, das passt nicht zum Charakter des Don Juan.« Kurzum, persönliche Beziehungen. Alles in allem hatte er sein Schiffchen bisher gut gesteuert.
    »Erzählen Sie mir

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