Die Schöne des Herrn (German Edition)
das ist ja alles gut und schön, aber jetzt keine Zeit verlieren, gehen wir hinauf, um uns verführerisch zu machen. Gleich werde ich sie sehen, ich kriege richtiges Herzklopfen, richtiges Horzklepfen.«
In die Küche zurückgekehrt, in tadellosem Pyjama, das Haar brillantineglänzend, den Bart gut durchgekämmt, die Fingernägel gebürstet, bewunderte er sich in Mariettes Spiegel. Ein wahrer Märchenprinz. Jetzt galt es nur noch, sich die richtige Taktik zu überlegen.
»Schauen wir mal, was die richtige Politik in dieser Sache ist. Wir treten also in ihr Zimmer, einverstanden. Wenn sie schläft, und alle menschliche Voraussicht weist darauf hin, nähern wir uns ganz leise und wecken sie mit einem zärtlichen Kuss auf die Stirn oder die Wange, je nach Lage des Kopfes, oder vielleicht sogar auf die Lippen!
Fortuna audaces juvat!
Er lächelte über die schelmische Idee, die ihm gerade gekommen war. Ja, derselbe Streich, wie Papi ihn Mammi gespielt hatte. Nach dem Kuss würde er ein ernstes Gesicht machen und ihr sagen, er habe einen Artikel über die wohltuende Wirkung von Kamillentee gelesen und es deshalb für angebracht gehalten, ihr heute statt des Tees einen Kamillentee zu machen. Sie würde das Gesicht verziehen, und wenn sie dann merken würde, dass es doch richtiger Tee wäre, würden sie beide herzlich lachen. Nein, besser nicht, so komisch ist dieser Streich nicht, ihr lieber ganz treu wie üblich den Tee ankündigen. »Hier kommt der Tee, ein schöner Tee für mein Zuckerschnäuzchen, der schöne
morning tea
!« Ja, so würde er es machen.
Im zweiten Stock angekommen, stellte er das Tablett auf den Boden, klopfte leise und war über das Schweigen nicht überrascht. Die arme Kleine schlief sicher noch fest, man müsste sie also mit aller gebotenen Rücksicht wecken. Den Kuss nur auf die Stirn. Er nahm das Tablett in beide Hände, drückte mit dem Ellbogen langsam die Türklinke hinunter und kündigte den Tee an, den schönen Tee für das Zuckerschnäuzchen. Auf dem unbenutzten Bett ein doppelt gefalteter Briefbogen. Das Tablett glitt ihm aus den Händen, und der Tee ergoss sich über den Teppich. Er faltete den Briefbogen auseinander, und Urin nässte die schöne gestreifte Pyjamahose.
LXXIX
Er saß auf dem Sofa des kleinen Salons, bei geschlossenen Fensterläden, ringelte sich das Haar, entringelte es. Diese Blumen, diese Zigaretten, das war für den Kerl gewesen. Ganz sicher, ja, die beiden auf dem Sofa, vor dem Ankleidespiegel, der alles gesehen hatte. Dabei hatte sie damals eingewilligt, ihn zu heiraten, also warum? Und die Stärkungsmittel, die sie für ihn gekauft hatte und an deren Einnahme sie ihn bei Tisch erinnerte, also warum?
Er stand auf, ging hinaus, wanderte im Vestibül umher, berührte flüchtig die Aufschläge des dort hängenden Regenmantels, blieb vor dem Barometer stehen und klopfte darauf. Sie würden schönes Wetter für die Reise haben. Nach Italien vielleicht, das Land der Liebe. »Reich mir die Hand, mein Leben, komm in mein Schloss mit mir«, murmelte er und ging in die Küche.
Er setzte sich an den Tisch, entfaltete den Brief, rollte ihn zu einer Tüte, entrollte ihn wieder, versuchte ihn zu glätten und erinnerte sich, wie er als Kind seine Schulhefte sorgfältig in Papierumschläge eingebunden hatte. Damals wusste er noch nicht, was ihn erwartete. Den Mund halb geöffnet, hob er den Kopf und betrachtete den verzinkten Draht, der von einer Wand zur anderen gespannt war. Vollkommen gerade, wirklich gut gespannt, dieser Draht. Er hatte ihn selbst gespannt. Jetzt würde er sich nie mehr freuen, wenn er ihn sah.
Vor ihm ein paar Kekse. Er nahm zwei auf einmal und zerkaute sie langsam. Dieser Brei im Mund, das war das Unglück. Mit dem Zeigefinger deutete er auf den Kühlschrank. Sie hatten ihn gemeinsam ausgewählt, zu Beginn ihrer Ehe, an einem Samstagnachmittag. Als sie aus dem Geschäft gekommen waren, hatte sie sich von sich aus bei ihm eingehakt, und sie waren Arm in Arm, Mann und Frau, spazieren gegangen. Und jetzt war sie bei einem anderen, einem anderen, der sie anfassen konnte, wie er wollte, und sie ließ ihn gewähren. Und doch war sie noch immer seine Frau, trug noch immer seinen Namen. Abermals rollte er den Brief zu einer Tüte, entrollte ihn wieder und las ihn mit lauter Stimme.
»Sonntag morgen, sechs Uhr. Mein armer Liebling, der Gedanke, dass Du friedlich schläfst und noch nichts weißt, tut mir weh. Dass Du herzensguter Mann so leiden musst, ist
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