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Die Schöne des Herrn (German Edition)

Die Schöne des Herrn (German Edition)

Titel: Die Schöne des Herrn (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Albert Cohen
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schrecklich. Vorhin, als ich ihn verließ, um hierher zurückzukehren, wollte ich mit Dir reden und es Dir erklären, aber als ich vor Deiner Tür stand, hatte ich nicht den Mut dazu. Verzeih mir, dass ich Dir gestern Abend die Wahrheit verborgen habe, aber ich war so durcheinander. Auch er kam von einer Reise zurück, und ihn erwartete ich, als Du gekommen bist. Ich würde Dir gern lange und ausführlich schreiben, damit Du verstehst, dass ich nicht anders handeln kann. Aber ich habe ihm versprochen, sehr schnell zurückzukehren, denn wir nehmen einen frühen Zug, schon um neun Uhr.
    Als ich vorhin ins Haus kam, blieb ich vor Deinem Regenmantel stehen, der im Korridor hing, und er hat mich seltsam gerührt. Ich habe ihn zärtlich gestreichelt und dabei gesehen, dass der mittlere Knopf nur noch an einem Faden hing. Ich habe ihn Dir angenäht. Es tat mir wohl, noch etwas für Dich tun zu können. Ich habe im Kühlschrank nachgeschaut. Es ist alles da, was Du für heute brauchst. Wärm Dir Deine Mahlzeit auf, iss sie nicht kalt. Nimm morgen Deine Arbeit wieder auf, geh mittags mit Deinen Kollegen essen. Bleib am Abend nicht allein, geh zu Freunden, und vor allem telegrafiere Deinen Eltern, dass sie sofort zurückkommen sollen. Verzeih mir, aber ich habe das Bedürfnis, glücklich zu sein. Er ist die Liebe meines Lebens, die erste und einzige. Ich werde Dir von dort schreiben.
    Ariane«

    Er stand auf, öffnete den Kühlschrank, griff nach einem Stück Käsekuchen und biss in den eisigen Teig. Er, er, er, als ob es nur diesen Kerl auf der Welt gäbe. Und dann diese Liebenswürdigkeit, ihm mitzuteilen, dass ihr Zug um neun Uhr gehen würde. Im Bahnhof anrufen, um festzustellen, wohin dieser Zug fuhr? Nicht einmal das Recht zu wissen, wo sie hinfuhr, und mit wem. Sie hätte ihm doch wenigstens sagen können, wer dieser Kerl war. Scheußlich dieser Käsekuchen. Und dann diese Frechheit, ihn mit »mein Liebling« anzureden.
    Er zog die Augenbrauen in strenger Verurteilung hoch, öffnete die Gashähne, drehte sie wieder zu und ging mit leicht angewinkeltem Arm hin und her wie damals, als sie sich bei ihm eingehakt hatte, und sie hatte es von sich aus getan, ganz spontan. Er winkelte den Arm noch mehr an, um sich besser erinnern zu können, zog erneut die Augenbrauen hoch und ging langsam und schlurfend und mit der Gerechtigkeit einfordernden Würde der beleidigten Schwachen. Vor dem Wäschehaufen auf einem Stuhl blieb er stehen, nahm das Wäschereiheft und überprüfte die Liste. Nur Hauswäsche. Natürlich, ihre Sachen waren ja zu empfindlich und wurden von Mariette gewaschen. Er kontrollierte die Liste, zählte die Wäschestücke ab und räumte sie in das Buffet. Sechs Bettlaken, das war zu viel für vierzehn Tage. Der Kerl also. Er, er, er. Natürlich jedes Mal ein frisches Laken für ihn. In seinem Haus hatten sie es also getrieben, auf den Laken, die Mammi ihnen zur Hochzeit geschenkt hatte! Mammi würde zufrieden sein. Wirklich gut gespannt, dieser Draht. Diese neuen Spanner mit Schrauben waren viel praktischer als die alten mit den Zahnwinden.
    Er zündete ein Streichholz an, legte es auf den Tisch, nahm es wieder in die Hand, als es am Verlöschen war, drehte es um, und siehe da, es flammte noch einmal auf. Sieg, sie wird zurückkommen! Aber nein, er wusste nur zu gut, dass dieses Streichholzglück nur eine weitere Niedertracht des Schicksals war, eine Hoffnung, die enttäuscht werden würde.
    »Von jetzt an Gleichgültigkeit.«
    Er öffnete die Tür des Buffets und betrachtete die aufgereihten Marmeladengläser. Er würde sich eine Weile mit diesen Damen beschäftigen. Alle Damen bitte in den Salon. Jawohl, ein bisschen Humor. Pfirsichmarmelade, zu süß. Pflaumenmarmelade, gewöhnlich, eines A-Beamten nicht würdig. Sauerkirschmarmelade? Einverstanden, guter, leicht säuerlicher Geschmack. Sauerkirschen einstimmig angenommen. Ja, ihr Kleinen, euch werden wir essen. So ist’s recht, die Dinge auf die leichte Schulter nehmen, man muss stark sein im Unglück. Er stampfte mit dem Fuß auf, um stark zu sein, summte die Arie des Toreros aus
Carmen
, und fuhr mit einer Gabel ins Marmeladenglas, um die Kirschen aus dem Sirup herauszufischen. Ist sie glücklich? Bitte sehr, ich auch, ätsch, rutsch mir doch den Buckel runter.
    »Siehst du, ich esse Marmelade.«
    Er stieß das Glas beiseite, nahm eine Aluminiumbüchse und schraubte den Deckel ab. Praktisch für das Camping, hermetisch verschlossen. Wenigstens das war ihm

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