Die schöne Diebin
Irgendwann kam der Zeitpunkt, an dem ich mich gern von ihm getrennt hätte. Aber eine Gattin darf ihren Ehemann nicht einfach verlassen. Ich begann, nach einem Ausweg zu suchen.“
„So bist du The Cat geworden.“
„Nicht sofort. Ich habe – sozusagen – klein angefangen. Es fiel nicht weiter auf, wenn ich von Reggies Waren hier und da etwas abzweigte. Stoff für Decken oder Kleidung benötigten die Armen immer. Andere Dinge, die ich Reggie entwendete, konnte ich verkaufen. Den Erlös gab ich heimlich an die Bedürftigen weiter.“
„Dein Mann hat nichts davon bemerkt?“
„Nach einiger Zeit leider doch. Es hat ihm gar nicht gefallen.“ Ein Schauer überlief sie.
„Er hat dich geschlagen!“ Brandons Stimme verriet, wie schockiert und zornig er war.
„Ja. Von da an trug ich, im Ärmel versteckt, ständig ein Messer bei mir. Bis zum Schluss habe ich gehofft, es nicht benutzen zu müssen. Doch eines Abends – Reggie hatte getrunken – spitzte die Situation sich zu. Als er auf mich losging, sah ich keine andere Möglichkeit, mich zu wehren. Ich stieß zu und verletzte ihn an der Schulter. Er verlor das Bewusstsein. Mir war klar, dass er mich hart bestrafen würde, sobald er dazu wieder in der Lage war. Mir blieb keine Wahl. Ich nahm diejenigen seiner Güter mit, die ich tragen konnte, und machte mich auf den Weg. Zu meinem Glück lernte ich gleich auf dem ersten Jahrmarkt, den ich besuchte, Hattie und Alfred kennen. Wir waren uns sofort sympathisch. Die beiden hatten bis dahin ihren Lebensunterhalt als Artisten verdient, wurden jedoch langsam zu alt dafür. Gemeinsam begannen wir, Pläne zu schmieden.“
„Verstehe …“, murmelte Brandon.
Sie schaute ihn an und sah zu ihrem Erstaunen echte Bewunderung in seinen Augen. „Wir beschlossen, ein Haus zu mieten. Dann begannen wir, daran zu arbeiten, aus mir The Cat zu machen. So konnte ich nicht nur die Armen unterstützen, sondern, da ich unter falschem Namen lebte, auch Reggie entkommen. Trotzdem bin ich noch immer seine Frau. Deshalb kann ich dich nicht heiraten.“
„Wir werden eine Lösung finden! Auf jeden Fall lasse ich dich nicht einfach gehen. Ich fühle mich für deine Sicherheit verantwortlich.“
Sie begann das Wort Verantwortung zu hassen. Natürlich könnte ich ihn auch nicht heiraten, wenn er von Liebe spräche. Trotz dem würde es mir sehr viel bedeuten, wenn er mich nicht nur als Last betrachten würde. Ich habe ihn nämlich sehr, sehr gern.
Nora straffte die Schultern. „Ich habe nicht die Absicht, dir diese Verantwortung aufzubürden. Himmel, glaubst du wirklich, ich würde mit einem Mann zusammenleben wollen, der mich aus Pflichtbewusstsein an seiner Seite haben will? Außerdem möchte ich nicht, dass du dich an eine Frau gebunden fühlst, die du im Grunde nicht kennst.“
„Ich kenne dich sehr gut!“, widersprach er. „Zudem habe ich dir diesen Antrag nicht aus Pflichtbewusstsein gemacht. Als Witherspoon die Waffe auf dich richtete, wurde mir klar, dass ich es nicht ertragen würde, dich zu verlieren.“
Typisch! Alle Männer sind schlechte Verlierer!
Eine Zeit lang schwiegen sie. Schließlich ergriff Brandon noch einmal das Wort. „Wenn wir nicht das Misstrauen des ganzen Ortes auf uns ziehen wollen, müssen wir noch eine Weile das glückliche Brautpaar spielen.“
„Was verstehst du unter einer Weile?“
„Zwei Wochen dürften genügen.“
„Danach lässt du mich ohne weitere Diskussion gehen?“
„Ja, sofern du dich bis dahin nicht selbst zum Bleiben entschlossen hast.“
„Das könnte ich gar nicht.“
Ein Lächeln huschte über Brandons Gesicht. „Wir werden sehen …“
Was habe ich nur getan?
Nora stand inmitten von Hutschachteln und Schuhkartons, Stapeln von feinster Unterwäsche und sorgfältig in weiches Papier eingeschlagenen Handschuhen. Auf dem Bett waren mehrere Kleider ausgebreitet.
Wie versprochen, hatte Madame Nourell die ersten Stücke der neuen Garderobe sehr schnell geliefert. Inzwischen war so viel eingetroffen, dass sich die Schränke, die in Noras neuem Schlafzimmer standen, rasch füllten. Nun, da die ersten Besucher der Braut ihre Aufwartung machen wollten, konnte Nora zwischen vielen verschiedenen Kleidern wählen.
Brandon hatte im Ort das Gerücht ausstreuen lassen, seine Verlobte habe aufgrund eines Missgeschicks sowohl ihr Gepäck als auch ihre Zofe auf dem Weg von London nach Stockport-on-the-Medlock verloren. Dadurch hatte er genug Zeit gewonnen, um sich mit Nora bezüglich
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