Die schöne Kunst des Mordens
schüttelte leicht den Kopf. »Weshalb?«, wiederholte sie.
»Es ist dein Beruf«, antwortete ich. Zugegeben, keine sonderlich bewegende Antwort, doch unter diesen Umständen fiel mir nichts Besseres ein, und ich glaube wirklich nicht, dass sie etwas über Wahrheit, Gerechtigkeit und den American Way of Life hören wollte.
Offensichtlich wollte sie ebenso wenig hören, dass es ihr Beruf war, denn sie sah mich nur an, wandte das Gesicht ab und schloss die Augen. »Schwachsinn«, murmelte sie.
»So, jetzt ist es aber gut«, dröhnte eine laute, fröhliche Stimme mit dem dicken Akzent der Bahamas von der Tür. »Die Herren müssen raus.« Ich blickte auf; eine große und sehr muntere Schwester hatte das Zimmer betreten und näherte sich uns mit rasanter Geschwindigkeit. »Die Dame muss sich ausruhen, was sie nicht kann, wenn Sie beide sie stören.« Sie sagte »schdöhren«, was ich sekundenlang so bezaubernd fand, dass mir gar nicht auffiel, wie sie mich hinausscheuchte.
»Ich bin gerade erst gekommen«, erklärte ich.
Sie pflanzte sich mit verschränkten Armen vor mir auf. »Dann sparen Sie ’ne Menge Geld für den Parkplatz, weil Sie nämlich jetzt gehen«, verkündete sie. »Na los doch, meine Herren«, fuhr sie an Chutsky gewandt fort. »Sie sind beide gemahnt.«
»Ich?«, vergewisserte er sich vollkommen überrascht.
»Sie«, bestätigte sie, den fleischigen Zeigefinger auf ihn gerichtet. »Sie sind schon viel zu lange hier.«
»Aber ich muss bleiben«, protestierte er.
»Nein, Sie müssen gehen«, widersprach die Schwester. »Der Doktor will, dass sie sich eine Weile ausruht. Allein.«
»Geh schon«, sagte Debs leise, und er sah sie verletzt an. »Mir geht’s gut«, bekräftigte sie. »Geh.«
Chutsky sah von ihr zur Schwester und dann wieder zu Deborah. »In Ordnung«, gab er schließlich nach. Er beugte sich vor und küsste sie auf die Wange, und sie wehrte sich nicht. Er stand auf und sah mich mit hochgezogenen Brauen an. »Okay, Kumpel. Schätze, wir sind entlassen.«
Als wir gingen, schlug die Schwester auf die Kissen ein, als hätten diese sich danebenbenommen.
Chutsky begleitete mich den Flur hinunter zu den Aufzügen, und während wir warteten, sagte er: »Ich mache mir ein bisschen Sorgen.« Er runzelte die Stirn und drückte ein paarmal auf den Abwärtsknopf.
»Wieso?«, fragte ich. »Wegen irgendwelcher, hm, Hirnschäden?« Deborahs Feststellung, dass sie aufhören wolle, klang mir noch immer in den Ohren. Es sah ihr so wenig ähnlich, dass auch ich mir ein bisschen Sorgen machte. Die Vorstellung eines Debbie-Gemüses, das im Rollstuhl vor sich hin sabberte und von Dexter löffelchenweise mit Haferschleim gefüttert wurde, erschien mir nach wie vor qualvoll grauenhaft.
Chutsky schüttelte den Kopf. »Nicht direkt. Eher wegen so was wie einem psychischen Schaden.«
»Wie kommst du darauf?«
Er schnitt eine Grimasse. »Keine Ahnung. Vielleicht liegt es einfach nur an den Verletzungen. Aber sie scheint … so weinerlich. Verängstigt. Nicht wie, wie, du weißt schon, wie sie selbst.«
Ich bin niemals niedergestochen worden und habe sehr viel Blut verloren, und ich kann mich nicht erinnern, etwas gelesen zu haben, was erklärt, wie man sich unter diesen Umständen fühlen sollte. Doch mir schienen Weinerlichkeit und Angst als Reaktion darauf äußerst vernünftig. Ehe ich mich allerdings auf eine taktvolle Art besinnen konnte, ihm das mitzuteilen, glitten die Aufzugtüren auseinander, und Chutsky stieg ein. Ich folgte ihm.
Als sich die Türen schlossen, fuhr er fort: »Sie hat mich erst gar nicht erkannt, als sie die Augen aufgeschlagen hat.«
»Das ist bestimmt ganz normal«, versicherte ich, obwohl ich mir dessen ganz und gar nicht sicher war. »Schließlich hat sie im Koma gelegen.«
»Sie hat mich direkt angesehen«, redete er weiter, als hätte ich überhaupt nichts gesagt, »und sie hatte, ach, ich weiß auch nicht. Hatte Angst vor mir. Irgendwie, als wüsste sie nicht, wer ich bin und was ich dort will.«
Offen gestanden hatte ich mir dieselbe Frage im vergangenen Jahr ebenfalls häufiger gestellt, doch schien es nicht angemessen, das jetzt anzuführen. Stattdessen sagte ich nur: »Ich bin sicher, dass es eine Weile dauert …«
»Wer ich bin«, wiederholte er, und erneut schien er mich gar nicht gehört zu haben. »Ich habe die ganze Zeit dort gesessen, sie nie länger als fünf Minuten aus den Augen gelassen.« Er starrte auf die Schalttafel des Aufzugs, der ein leises
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