Die schöne Mätresse
zwar ein frisches Kleid angezogen und ihre vom Wind zerzausten Locken gebürstet, doch leider war ihr Seelenfrieden nicht so leicht wieder herzustellen wie ihr Äußeres.
Natalie sortierte sicher gerade die Post, notierte Einladungen in ihrem Kalender und plante die nächsten Schritte in ihrem Feldzug für Emilys gesellschaftliche Anerkennung. Gleichzeitig würde Evan seine Termine so ausrichten, dass er ihr nicht begegnete. Welche Ironie des Schicksals, dachte sie bitter.
Nein, sie konnte es nicht ertragen, in aller Ruhe Vergnügungen zu planen, die ihr ohnehin keine Freude bereiten würden.
Bisher hatte ein Ausritt stets dazu beigetragen, ihre Nerven zu beruhigen – aber allein bei dem Gedanken krampfte sich ihr Magen zusammen. Die beiden Treffen mit Evan im Park hatten ihre Freude am Reiten erheblich gedämpft.
Es klopfte an der Tür. „Herein!“ rief sie. Gleichzeitig bemühte sie sich um eine gelassene Miene, die nichts von ihrem inneren Aufruhr verriet. Falls es Natalie war, würde sie vermutlich dennoch sofort bemerken, dass etwas mit ihrer Schwägerin nicht stimmte.
Doch es war nur ein Diener, und Emily entspannte sich erleichtert. „Ein Besucher für Sie, Lady Auriana – ein Mr. Blakesly. Sagte, er wisse, wie früh es sei. Trotzdem bestand er darauf, dass ich ihn melde.“
Brent hatte ihr gestern zusammen mit einigen anderen, die sie zu dem gelungenen Ball beglückwünschen wollten, eine kurze Visite abgestattet. Dank der Anwesenheit der anderen Gäste war es ihr gelungen, ein privates Gespräch mit ihm zu vermeiden, sodass er hoffentlich nichts von ihrem inneren Aufruhr bemerkt hatte. Nun kam er allerdings zu einer Stunde, die weitere Besucher unwahrscheinlich erscheinen ließ. Zweifellos wünschte er eine vertrauliche Unterredung. Hatte er sie trotz allem durchschaut?
Da sie heute Morgen wahrscheinlich noch niedergeschlagener wirkte, sollte sie ihn vielleicht wegschicken. Andererseits glaubte sie auch nicht, dass der schreckliche Schmerz, der ihr Herz quälte, bald vergehen würde.
Warum sollte sie ihn nicht empfangen? Bereits nach ihrer ersten Trennung von Evan hatte sie den Verlust kaum verkraftet, und fatalerweise hatte sie den Kummer nur noch weiter geschürt, als sie den Geliebten nach jener unseligen gemeinsamen Nacht ein zweites Mal abgewiesen hatte. Doch nun war alles noch schlimmer geworden. Mit jedem Atemzug hoffte sie mehr, endlich einen Grund zu finden, die Beziehung mit ihm fortzusetzen, den sie vor ihrem Gewissen verantworten konnte.
Oder hatte sie dieses Mal nur letztendlich erkannt, dass sie nicht nur einen Liebhaber verlor, sondern die Liebe ihres Lebens?
Der Diener stand noch immer an der Tür und wartete auf eine Antwort.
Sie wollte Brent schon abweisen lassen, als sie plötzlich eine Idee hatte. Falls er seine Kutsche mitgebracht hatte, konnte sie ihn bitten, eine Fahrt ins Grüne mit ihr zu unternehmen, hinaus aus der Stadt … vielleicht nach Box Hill! Ja, der Ausflug würde viel Zeit beanspruchen, eine willkommene Abwechslung bieten und eine langwierige Diskussion verhindern.
Wenn sie ihr Ziel erreichten, hatte sie ihre Emotionen vermutlich wieder besser unter Kontrolle. Sie hatte den Ausdruck auf Brents Gesicht gesehen, als er sie nach dem Walzer mit Evan in Robs Auftrag geholt hatte. Schon in diesem Moment war ihr klar gewesen, dass irgendwann unweigerlich Fragen folgen würden. Aber ihr guter, verlässlicher Freund verdiente es nicht, dass sie ihn wegen dieser Angelegenheit lange hinhielt. Es war besser, offen darüber zu sprechen, und zwar möglichst bald.
Doch zunächst würde sie versuchen, die lange Kutschfahrt zu genießen.
„Führen Sie Mr. Blakesly bitte in den kleinen Salon, und richten Sie ihm aus, dass ich mich bald zu ihm gesellen werde.“
Als sie einige Minuten später eintrat, stand Brent am Kamin und trommelte ungeduldig mit den Fingern auf den Sims. Seine Miene wirkte besorgt.
„Guten Morgen, Brent. Ich hoffe doch, es geht Ihnen gut?“
Er eilte ihr entgegen und küsste ihre Hände, während seine Augen ihr Gesicht absuchten. „Was ist geschehen, Emily?“ fragte er ohne die übliche höfliche Begrüßung. „Hat Evan …“
„Bitte, jetzt noch keine Fragen. Sind Sie mit Ihrer Kutsche hier?“
„Ich … Ja. Warum fragen Sie?“
„Würden Sie mir bitte einen großen Gefallen erweisen? Bitte fahren Sie mit mir nach Box Hill.“
„Sie wünschen also ein Picknick?“
„Ja. Sofort. Ich muss … einfach fort. Wenn wir erst dort sind,
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