Die Schöne mit dem Flammenhaar
Tross zu. Jasim kommentierte die Sehenswürdigkeiten für Elinor. Sie kamen im Geschäftsviertel an supermodernen Hochhäusern und gepflegten, terrassenartig angelegten Grünanlagen vorbei. Danach fuhren sie durch die unter Kulturschutz stehende Altstadt. Dort bildeten uralte Moscheen, denkmalgeschützte Bauten und der von Händlern und Kunden bevölkerte Handwerksbasar die Hauptattraktionen.
Nachdem Jasim Elinor kurz darauf auf die wichtigsten Regierungsgebäude hingewiesen hatte, bemerkte er: „Dort drüben ist der Palast.“
Die Limousine fuhr im Halbkreis um einen mächtigen Springbrunnen herum und bog anschließend in eine eindrucksvolle breite Allee. Gärtner waren damit beschäftigt, die üppigen Parkanlagen zu wässern. Geradeaus vor ihnen erhob sich ein weitläufiger Bau mit einem sehr neumodisch anmutenden wellenförmigen Dach.
„Sehr … ungewöhnlich“, staunte Elinor.
„Murad hat den Bau in Auftrag gegeben. Der Architekt hat dafür mehrere Preise gewonnen. Meiner Meinung nach sieht der Palast eher wie ein Hotel aus, und mein Vater findet ihn scheußlich. Aber hier werden wir wohnen, wenn wir in Muscar sind. Ich persönlich hätte es besser gefunden, den alten Palast vor der Stadt einfach zu renovieren.“
Vor dem mächtigen Eingangsportal hatte sich auch hier eine Menschenmenge versammelt. Jasim erklärte ihr, dass die meisten von diesen Leuten Palastangestellte waren. Er nahm Elinor seinen Sohn ab, damit sie bequemer aussteigen konnte. Sobald sie den klimatisierten Wagen verließ, brach ihr in der gnadenlos vom Himmel brennenden Sonne der Schweiß aus. Die Aufmerksamkeit und das überwältigende Interesse der Menschen begannen sie ein wenig zu ängstigen. Beunruhigt dachte sie an die bevorstehende Begegnung mit Jasims Vater König Akil.
Während die Frauen Sami bestaunten, übersetzte Jasim ihre Bemerkungen. Murad hätte sich seinen Angestellten gegenüber nicht so geduldig gezeigt, dachte Elinor bei sich.
Es war herrlich, endlich ins kühle Innere des Palasts zu treten. Er war überaus großzügig angelegt: Schon der glänzende marmorne Eingangssaal hatte die Größe einer Flughafenhalle. Im erfrischenden Luftzug der Klimaanlage blieb Elinor für einen Moment stehen, weil ihr das Seidenkleid an der Haut klebte.
Forschend sah Jasim sie an. „Geht es dir nicht gut?“
„Es ist schrecklich heiß dort draußen“, erwiderte sie und bereute ihre Worte sofort. Natürlich hätte sie sich denken können, dass es in einem Wüstenkönigreich im Hochsommer unerträglich heiß war.
„Du wirst einige Zeit brauchen, bis du dich an die Hitze gewöhnt hast. Möchtest du dich etwas ausruhen, ehe ich dich meinem Vater vorstelle?“, fragte Jasim.
„Nein, nein. Gehen wir gleich zu ihm.“ Dann habe ich es hinter mir, fügte Elinor in Gedanken hinzu. Sie sah dieser Begegnung alles andere als freudig entgegen. In den Augen des Königs war sie die Frau, die Jasim geschwängert und ohne sein Wissen geheiratet hatte. Die Frau, die nach der Trauung über ein Jahr lang verschwunden gewesen war. Überhaupt hatte sie sich für ein gewöhnliches Kindermädchen ziemlich fragwürdig verhalten. Da konnte sie kaum erwarten, dass König Akil sie als passende Ehefrau für seinen einzigen noch lebenden Sohn betrachtete.
Als sie im Palast einen langen Korridor entlanggingen, hallten ihre Schritte und Stimmen unnatürlich laut wider. Am Ende gelangten sie zu einer hohen Doppeltür, vor der zwei bewaffnete Wächter postiert waren. Die Flügel wurden aufgestoßen, und ein wartender Diener kündigte sie an. Schließlich wurden sie vor den König geführt.
Der erste Anblick von Jasims Vater schockierte Elinor. König Akil lag auf einer altmodischen Chaiselongue, die so gar nicht zu der modernen Umgebung passte. Der alte Mann wirkte erschreckend mager und schwach. Er hatte schlohweißes Haar und trug traditionelle Gewänder. Er war sehr viel älter, als Elinor ihn sich vorgestellt hatte.
Gemäß dem offiziellen Protokoll folgten vorgeschriebene Begrüßungsformeln. Dann brach Jasim das Eis, indem er Sami zu seinem Großvater brachte und ihm seinen Enkel zur Begutachtung in die Arme legte. Ein Lächeln huschte über die eben noch so verhärmten Züge des alten Mannes.
„Ein hübscher, kräftiger Junge mit strahlenden Augen“, wandte sich der König an Elinor. „Und Sie haben ihn nach meinem Großvater genannt. Sie haben einen ausgezeichneten Geschmack.“
Das unerwartete Kompliment machte Elinor glücklich.
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