Die schöne Parfümhändlerin
rosaroten Strahl der untergehenden Sonne hereinzulassen.
Der Raum war nicht besonders groß, wesentlich kleiner als die eindrucksvollen Festsäle des Hauses. Hier fanden keine Tanzfeste oder große Essen statt. Dies war ein Raum, in dem die Familie zum Essen beisammen war oder wo man sich zu einem vertraulichen Gespräch zusammensetzte. Nichtsdestotrotz war es ein prächtig ausgestatteter Ort. Kostbare Seidentapeten mit Bildern aus dem Leben der Lucia von Syrakus bedeckten die Wände, die geschnitzten Sitzmöbel waren vergoldet, die Polster aus hellgrünem Brokat. Der riesige Marmorkamin glich beinahe einem monumentalen Grabmal mit atlasähnlichen Figuren als Stützen an den Seiten und Schnitzereien von Heiligen und Seraphinen auf dem oberen Sims.
Es war lange her, seit Marcos diesen Raum zum letzten Mal betreten hatte. Doch nichts hatte sich verändert. Kein Dekor, kein Kissen, nur an den Wänden hingen ein paar neue Portraits. Ansonsten war es immer noch die gleiche kalte Hölle.
Marcos zog die Vorhänge weit zurück, damit das Licht bis in den hintersten, den finstersten Winkel fluten konnte. Die Arme vor der Brust gekreuzt, lehnte er sich gegen die Marmorfensterbank. Auf dem Kanal drängten sich die Boote mit den Festbesuchern, maskierte, fröhliche Menschen, heiter vom Wein und der Vorfreude auf die Versprechen der kommenden Nacht. Bald werde auch ich einer von ihnen sein, überlegte er. Er würde einen schwarzen Umhang tragen, seine Maske aufsetzen und die hübsche Julietta Bassano einen Abend lang bei Tanz und Musik begleiten – und zu dem, was die Nacht sonst noch bieten würde.
Julietta Bassano. In den letzten Tagen hatte er öfter an sie gedacht, als er sich eingestehen mochte. Ganz plötzlich und völlig unerwartet hatte er immer wieder ihr Bild vor Augen gehabt. Während er mit einflussreichen Familien von goldenen Tellern gegessen hatte, während er in prachtvollen Sälen feierlicher Musik gelauscht hatte und – vor allem nachts – während er im fremden Bett gelegen hatte. Er konnte sie sich genau vorstellen: groß und hellhäutig, aber geheimnisvoll wie die Nacht und ernst wie die Madonna dort drüben über dem Kaminsims. Stets so zurückhaltend und vornehm, niemals ihre Gedanken preisgebend.
Doch in seinen nächtlichen Träumen, da war sie ganz anders. Erst letzte Nacht hatte er von ihr geträumt: Das schwarze Haar fiel ihr über die schmalen Schultern weit über den Rücken. Die strengen schwarz-weißen Kleider hatte sie abgelegt. Nur in einem dünnen Hemd, hell und durchsichtig wie die Mondstrahlen, stand sie da. Sie hatte ein leicht verschämtes Lächeln auf den rosaroten Lippen. Ganz vorsichtig strichen ihre Fingerspitzen über seine Kehle, glitten über seine Schultern und die entblößte Brust und hinterließen eine feurige Spur. Ihr Haar kitzelte sanft über seine Wangen, als sie sich über ihn beugte und ihm leise fremde Worte ins Ohr flüsterte.
Er wusste noch, dass sie ihm aufregende Geheimnisse verraten hatte, die der Schlüssel zu seinen geheimsten Wünschen waren. Doch was sie gesagt hatte, daran konnte er sich nicht erinnern. Nur an ihre Berührungen, ihre magischen Berührungen, konnte er sich erinnern, und er sehnte sich danach, wieder die Süße ihrer Lippen auf den seinen zu spüren und ihren Busen auf seiner nackten Brust …
„ Maledizione!“ Marcos schlug mit der flachen schwieligen Hand auf die steinerne Fensterbank. Einen Moment lang gab er sich dem Schmerz hin. Dann, in dem Gefühl, ersticken zu müssen, entriegelte er das Fenster, riss den Flügel weit auf und ließ eine kühle Brise hinein. Er öffnete den hohen, juwelenbesetzten Kragen an seinem Wams und fuhr sich mit den Fingern durch das offene, zerzauste Haar.
Die kühle Luft tat gut. Dennoch konnte er den nächtlichen Traum nicht vergessen. Er war so wirklich gewesen und aufwühlend wie kaum ein Traum zuvor. Als er aufgewacht war und die Kurtisane, die er für die Nacht bestellt hatte, schlafend, den roten Haarschopf auf den schwarzen Laken ausgebreitet, neben sich fand, hatte er sie in die Arme genommen und wach geküsst. Doch selbst mit ihren meisterhaft vollkommenen Liebeskünsten war es ihr nicht gelungen, ihn seine Träume von Julietta Bassano vergessen zu lassen.
Dabei sollte diese Parfümeurin nur ein Mittel zum Zweck sein. Nur ein Glied in der Kette von Plänen, die er über Jahre so sorgfältig geschmiedet hatte. Nichts durfte ihm dabei im Wege stehen.
Dennoch … da war etwas in ihren
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