Die schöne Parfümhändlerin
aufgesucht habe. Doch ich habe meine Güter auf dem Festland besucht.“
Verflixt, überlegte Julietta missgelaunt. Hatte sie doch schon geglaubt, ihr Zauber hätte gewirkt. „Ich hoffe, es gibt keinen Anlass zur Klage.“
„Nein, alles tadellos natürlich!“ Der Conte beugte sich über die Seitenwand der Gondel und blickte mit bittenden smaragdgrünen Augen zu ihr hinauf. „Würdet Ihr die Güte haben, uns während des Umzugs Gesellschaft zu leisten, Signora? Es ist genügend Platz hier für Euch und Eure Dienerin.“
Die Vorstellung, zusammen mit den Grattianos in dieser erdrückend luxuriösen Gondel zu sitzen, schnürte Julietta die Brust ein. Sie umklammerte den Pfahl so fest, dass ihr einen Moment lang schwarz vor Augen wurde. Stand sie noch am Ufer des Kanals, oder fantasierte sie? Das war keine gewöhnliche Gondel mit einem Gondoliere aus Fleisch und Blut, sondern Charon, der Fährmann, der sie mit seinem Boot ins Reich der Toten rudern wollte.
Wie aus weiter Ferne hörte sie neben sich Bianca tief Luft holen. Als die Dienerin dann begann, energisch an ihrem Ärmel zu ziehen, wurde Juliettas Blick langsam wieder klar. Die Vision verschwand. Scharf beobachtete der Conte sie, als wolle er ihre Zustimmung erzwingen. Seltsame Augen hatte er …
„Nein, danke …“, begann sie.
„Ach, Signora Bassano, Ihr wollt mir doch keinen Korb geben?“ Theatralisch legte Grattiano eine beringte Hand auf die Brust. „Es sind nur zwei einsame Männer in dieser Gondel, die für eine kurze Weile um die Ehre Eurer reizenden Gesellschaft bitten. Als Dank kann ich Euch eine hervorragende Aussicht auf den Umzug bieten.“
Bevor Julietta erneut ablehnen konnte, ging ein Aufschrei durch die Menge, und es brach ein Jubel aus, der jedes Wort übertönte. Andrea Gritti, der Doge, in prächtiger golddurchwirkter, mit Hermelin gefütterter Brokatrobe – in den Farben, ähnlich wie Ermano sie gewählt hatte, erschien im bucintoro. Langsam glitt er auf der Prunkgaleere an die Spitze des Umzugs, und während sie hinaus zur Lagune trieb, setzten sich die anderen Schiffe in ihrem Gefolge in Bewegung. Die Musik wurde lauter, schwoll zum feierlichen Fortissimo an, und es regnete Blumen in allen Farben. Und hinter dem Dogen stand … Nein! Das konnte nicht sein.
Julietta traute kaum ihren Augen. In der Tat, es war Marcos Velazquez. Das dichte dunkle Haar war von der leichten Brise zerzaust. Wie ein Pirat sah er aus. Das Barett mit dem Edelstein in der Hand, stand er, ganz in vornehmen blauen Samt gekleidet, hinter dem Dogen und blickte hinaus aufs Meer – in erlauchtester Begleitung, vom Scheitel bis zur Sohle der forsche Held.
Sie hatte eingewilligt, mit diesem Mann heute Abend auf das große Fest zu gehen. Konnte sie das? Wollte sie das wirklich? Hatte sie sich nicht die ganze Zeit angestrengt bemüht, so unauffällig wie möglich hier in Venedig zu leben?
Du wirst eine Maske tragen, beruhigte eine innere Stimme sie. Keiner wird dich erkennen. Schau ihn dir doch an. Nur ein mal hast du die Gelegenheit, in seinen Armen zu tanzen. Willst du die verpassen? Oh, diese heimtückische innere Stimme! Immer brachte sie sie in Versuchung.
Julietta wagte noch einen Blick. Marcos Velazquez lachte. Sorglos und fröhlich war er. Aber auch stark und geheimnisvoll, ein Teil von Sonne und Meer. Nein, sie konnte der Versuchung nicht widerstehen.
Auch Conte Grattiano und sein Sohn Balthazar hatten sich umgedreht und beobachteten den Umzug. Julietta nutzte die Gelegenheit und tauchte in der Menge unter. Bald – nur allzu bald – musste sie sich ihrer unbezähmbaren Leidenschaft für Marcos Velazquez stellen. Doch jetzt noch nicht.
Nach dem lauten Jubel in den Gassen der Stadt fiel die Stille im Gesellschaftszimmer des Palazzo Grattiano besonders auf. Das spärliche Licht, das vom Kaminfeuer über den weißen Marmorboden flackerte, erschien nach all den hellen bunten Farben draußen in der Stadt besonders düster. Doch Marcos genoss die Stille. Endlich, und wenn auch nur für kurze Zeit, konnte er die Fassade des großen Helden abstreifen, endlich konnte er nachdenken.
Er war allein. Ermano Grattiano war von einem anderen Berater des Dogen aufgehalten worden. Quer durch den Saal ging Marcos zu einem der großen Fenster, die auf den Kanal hinausgingen. Seine Schritte hallten auf dem kalten Marmorboden. Vor den Fenstern sperrten schwere dunkelgrüne Samtvorhänge das letzte Tageslicht aus. Er schob den Stoff ein wenig zur Seite, um einen
Weitere Kostenlose Bücher