Die schöne Parfümhändlerin
war jenes mächtige Verlangen, zu wissen, was sie hierhergebracht hatte. Das und ihre unbändige närrische Schwärmerei für Marcos Velazquez führten sie nun zu diesem Raum, von dem sie nicht wusste, was sich in ihm verbarg.
Endlich erreichte sie den roten Vorhang. Vorsichtig streckte sie ihre Hand aus und berührte den dicken Stoff. Es war ein rauer, dichter Samt, steif von den ihr unverständlichen aufgemalten Symbolen. Sie hatte den Stoff nur mit den Fingerspitzen berührt, als er ganz leicht zur Seite glitt, so als wolle er sie einladen einzutreten.
Vorsichtig trat Julietta durch den Einlass und blickte in den dahinterliegenden Raum. Er war klein und dunkel, auch hier hingen an den Wänden dicke Teppiche. Das einzige Licht spendete ein Armleuchter auf einem niedrigen Tisch mit roter Seidendecke. Hinter dem Tisch saß auf einem Stapel Kissen eine Frau. Julietta beobachtete sie eine Weile. Weshalb zögerte sie, den Raum zu betreten? Offenbar war alles in Ordnung mit der Fremden. Sie war kein Drache und auch keine Schlange, sie war eine ganz normale kleine, dünne Frau, weder jung noch alt. Ihr dunkles, mit silbergrauen Strähnen durchzogenes Haar trug sie zu einer Flechtkrone frisiert und mit weißen Bändern geschmückt. Eine weiße Halbmaske bedeckte ein glattes, ovales Gesicht. Die weißen Spitzenrüschen an den Ärmeln hatte sie hochgestreift, damit sie ihr nicht bei ihrer Arbeit im Wege waren.
Vor ihr auf dem Tisch lag ein Kartensatz. Es waren keine gewöhnlichen Spielkarten, sondern längliche goldgerahmte Pappdeckel mit bunten Bildern von Höflingen, Narren und fantasievollen unbekannten Wesen. Beim Nähertreten erkannte Julietta, dass es sich um Tarockkarten handelte. So ein Spiel, wie es auch ihre Großmutter einst besessen und in einem geschnitzten Elfenbeinkästchen stets unter Verschluss gehalten hatte. Außer ihr benutzten Wahrsagerinnen selten diese Karten, selbst in Mailand nicht, wo das Spiel seinen Ursprung hatte.
Die Frau blickte auf und lächelte Julietta einladend an. „Guten Abend, Madonna. Möchtet Ihr, dass ich Euch wahrsage?“ Ihre Stimme klang ebenso ruhig und zuvorkommend, wie ihr Lächeln war.
Es war lange her, dass jemand Julietta die Karten gelesen hatte. Sie erinnerte sich, wie sie damals vor dem Tisch gestanden hatte. Schüchtern und ängstlich hatte sie zugeschaut, wie ihre Großmutter die Karten legte. „Ach, ma petite“, hatte sie geseufzt, während sie das Blatt genau studierte. „Ich fürchte, dein Lebensweg wird nicht leicht sein.“
Wie sich diese Worte bewahrheitet hatten! Aber auch anderes hatte ihre Großmutter aus den Karten gelesen – Dinge, an die sich Julietta nicht mehr erinnern konnte. Doch das war alles viele Jahre her. Vielleicht hatte sich ihr Schicksal gewendet?
Anscheinend war sie sogar närrisch genug, selbst jetzt noch derlei Hoffnungen zu hegen.
„Ja, gerne“, antwortete sie und nahm auf den Kissen gegenüber der weiß gekleideten Kartenleserin Platz.
„ Va bene, Madonna . Ich heiße Maria.“ Die Frau nahm die Karten auf, reichte Julietta den Stapel und sah zu, wie diese die Karten mischte und in drei kleinere Stapel teilte. „Ich sehe, Ihr seid vertraut mit dem Tarock“, meinte sie.
„Ja.“
„Heute Nacht habt Ihr eine Frage?“
Nur eine? So viele Rätsel und Zweifel schwirrten ihr durch den Kopf. Wie sollte sie sich da für eine Frage entscheiden?
„Ich verstehe. Euch bewegt vieles“, sagte Maria. „Lasst uns ein einfaches Spiel mit nur sieben Karten legen. Vielleicht wird das helfen, Eurer Verwirrung Herr zu werden.“
Sie zog sieben Karten und legte sie offen auf den Tisch. Ihre Miene war ernst, aber völlig ausdruckslos, während sie mit den Fingerspitzen über die bunten Bilder strich. „Ihr kennt Dantes finsteren Wald?“
Julietta nickte, obwohl ihr die Frage keinen rechten Sinn ergab. Was sollte in den Karten über Dante stehen? „Als des Lebens Mitte ich erklommen, befand ich mich in einem dunklen Wald, da ich vom rechten Wege abgekommen“, zitierte sie dennoch den italienischen Dichter.
„Genauso ist es.“
„Ihr seht etwas über … Wälder in den Karten? Oder Dunkelheit?“
Die Frau zuckte mit den Schultern. „Wer weiß, Signora? Ich bin nur eine Deuterin. Doch es kommt eine Zeit, da wir alle durch die Unterwelt reisen und unseren eigenen Zauberer finden.“ Sie deutete auf die erste Karte. „Seht her … der Magier. Ihr besitzt die Fähigkeit, Eure eigenen Pläne in die Tat umzusetzen und Euren Zielen
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