Die schöne Parfümhändlerin
eine neue Richtung zu geben. Die Gabe und die Kraft dazu sind Euch gegeben. Ihr müsst sie nur nutzen.“
Ihr Blick ging zu der nächsten Karte. „Der Teufel, auf dem Kopf. Ihr müsst Euch von Euren Ängsten befreien, ohne Fesseln in die Zukunft gehen. Die nächste Karte ist die Hohepriesterin, ebenfalls auf dem Kopf. Das heißt, Wahrheit und Offenheit verlassen sie. Sie ist nicht ganz ehrlich mit uns heute Nacht. Etwas stimmt nicht.“
Julietta dachte an Marcos. Wie dunkel waren seine Augen gewesen, als er sie heute Nacht angeblickt hatte. Wie sicher hatte sie sich in seinen starken Armen gefühlt, und doch waren die Augen gefährlicher als jeder Dolch. Etwas stimmt nicht. Wie wahr. Sie konnte sich nicht gegen ihn wehren, so wie sie sich nicht wehren konnte zu atmen. Vielleicht deutete die Karte ja gar nicht auf sie, sondern auf ihn. „Und die nächste Karte?“, fragte sie mit belegter Stimme.
„Der Tod, in richtiger Position. Beginn einer neuen Lebensphase. Die Vergangenheit ist abgeschlossen, falls Ihr loslassen könnt.“
Abgeschlossen? Sacht schüttelte Julietta den Kopf. Die Vergangenheit konnte niemals vergessen sein. Genauso bösartig wie die grotesk grinsende Fratze auf der Karte saß die Vergangenheit ihr im Nacken und versuchte, sie zurückzuholen.
„Dann haben wir den Hierophant, wieder auf dem Kopf“, unterbrach Maria Juliettas Gedankengänge. „Der Hohepriester bedeutet eigenwilliges Verhalten, Signora. Ungewöhnlicher Lebenswandel.“
Julietta musste lächeln. Ihr Aufenthalt an diesem Ort, ihr Sitzen vor dieser Frau, natürlich konnte man das als ungewöhnlich bezeichnen. Und ihr übriges Leben … „Sehr wahr, Signora.“
„Und nun die letzte Karte: der Wagen, wieder in richtiger Position. Es ist eine günstige Karte, Madonna. Eure harte Arbeit wird Euch Erfolg bescheren. Ihr habt ein gutes Wesen, nur richtet Ihr Euer Trachten und Sinnen zu sehr auf Euer Ziel.“
„Ist das keine gute Entscheidung?“, fragte Julietta. Erfolg … manchmal glaubte sie ihn schon in den Händen zu halten, und dann entglitt er ihr doch wieder.
Maria nickte nachdenklich, den Blick immer noch auf die Karten gerichtet. „Wenn wir der Hohepriesterin trauen können …“, murmelte sie. Sie langte nach dem dritten Kartenstapel und hielt ihn Julietta hin. „Bitte, Signora, zieht noch eine Karte.“
Überrascht schaute Julietta auf die Karten. Ihre Großmutter hatte nie eine Sitzung so beendet. „Noch eine?“
„Bitte, Signora. Seid nachsichtig mit einer alten Frau.“
Zögernd zog Julietta die oberste Karte. Vorsichtig legte sie sie mit dem Bild nach oben über die Reihe der sieben Karten.
„Ah, der Freudenkelch, auf dem Kopf. Ein gewaltiger Gefühlsrausch wird Euch überkommen. Doch bald ist der Kelch geleert. Euer Herz ist noch nicht bereit für eine neue Liebe. Es ist verschlossen und kalt. Leer.“
Julietta starrte auf die Lage der Karten, studierte ganz genau die bunten Bildsymbole, so als wolle sie mit ihrem Blick ihre Position und ihre Botschaft ändern. „Es kann nicht anders gedeutet werden?“
Die Frau zuckte mit den Schultern und lächelte. „Ich bin nur das Medium, Madonna. Unser Schicksal ist … ist unabänderlich. Doch ich habe gelernt, dass ein starker Wille Berge versetzen kann. Das Böse kann sich zum Guten und Hass kann sich in Liebe verwandeln, ein kaltes Herz zu feuriger Leidenschaft entflammen. Mit Gottes Hilfe ist alles möglich. Ich gebe diese Antwort allen, die von mir die Karten gelesen haben wollen, mit auf den Weg. Aber manche wollen meine Worte nicht hören.“ Sie tippte mit dem Finger auf den Freudenkelch. „Bedenkt immer, Signora, die Umkehr all dieser Kartendeutungen liegt allein bei Euch. Ihr habt Willensstärke. Habt Ihr nicht auch den Mut, sie einzusetzen?“
Mut und Willensstärke? Manchmal hatte Julietta gedacht, sie hätte schon all ihren Mut verbraucht, indem sie nach Venedig gekommen war und ihr neues Leben begonnen hatte. Manchmal hatte sie aber auch das Gefühl, sie könne die bösen Geheimnisse von Leben und Tod besiegen. Im Moment aber war sie einfach erschöpft und müde, ihr Kopf schmerzte vom Wein. Sie brauchte Ruhe und Schlaf. Vielleicht sah sie am Morgen alles klarer … oder auch nur als einen Traum.
„ Grazie“, dankte sie der Wahrsagerin und stand auf, um zu gehen. Auf der Türschwelle bewegte sich ein Schatten. Julietta hielt den Atem an, als sie Marcos dort stehen sah. Bewegungslos und schweigend stand er da und beobachtete sie. Mit der
Weitere Kostenlose Bücher