Die schöne Parfümhändlerin
keine Geheimnisse“, log sie.
„Überhaupt keine?“
Sie zögerte kurz. „Sie wären zu langweilig, um darüber zu sprechen.“
Er schwieg eine ganze Weile. Nur das sanfte Schlagen des Wassers gegen die Bootswand und das regelmäßige Knarren der Ruder waren zu hören. In der Ferne waren die dunklen Schatten der vorgelagerten Inseln zu erkennen, die Hütten auf Burano und die hohen Mauern von San Michele, der Friedhofsinsel. Doch Julietta und Marcos nahmen nichts von der Aussicht war. Eingenommen vom Verlangen nach dem anderen und dem, was nicht gesagt war, hing jeder still für sich seinen eigenen Gedanken nach.
„Ich glaube, nichts an Euch könnte langweilig sein, Julietta“, sagte er nach langem Schweigen leise.
Julietta konnte sich nicht erklären, wieso sie wieder das Gefühl hatte, ihre Fesseln sprengen zu müssen. Alle Zwänge, den Laden, die Arbeit, Ermanos seltsame Bitten, all das hatte sie doch heute Nacht weit hinter sich gelassen. Ihre Liebe zu Marcos Velazquez war ein ganz anderer Zwang, eine Gefahr, in die sie sich freiwillig begab.
„Nun denn“, sagte sie mit fröhlicher Stimme. „Ich werde Euch ein Geheimnis verraten.“
„Ihr habt meine ungeteilte Aufmerksamkeit, querida.“
„Aber anschließend müsst Ihr mir ein Geheimnis von Euch erzählen.“
„Einverstanden.“
„Als junges Mädchen hasste ich meine Figur. Ich wuchs so schnell, war zu groß, wusste nicht, wohin mit Armen und Beinen, und konnte mich nicht anmutig bewegen. Alle meine Freundinnen waren viel hübscher, sie waren klein und mollig, während ich nur ein knochiges Rippengestell mit spitzen Ellbogen war. Meine Großmutter versuchte, mir zu helfen. Sie ließ mir dicke Kleider aus vielen Metern feinsten Stoffes und ausgepolsterte Hemden schneidern. Ich musste sämige Milch trinken, buttrige Kuchen und fette Kalbsleber essen, bis ich dachte, ich würde davon krank. Doch nichts half. Im Gegenteil, ich verlor sogar an Gewicht. Ich sah aus wie ein Gondelpfahl, aber nicht wie ein junges Mädchen.“
Marcos lachte, und auch Julietta musste lächeln. Wie befreit fühlte sie sich mit einem Mal, und plötzlich sah sie Millionen Sterne, die am Himmel strahlten. „Das ist Euer Geheimnis?“, fragte er. „Dass Ihr groß und schlank seid? Vergebt mir, meine Sonne, aber das habe ich bereits erraten. Eure Schönheit ist schließlich nicht zu übersehen.“
„Meine … Schönheit?“ Julietta fürchtete, wie ein kleines Mädchen zu erröten. Trotz der kalten Brise glühte ihr Gesicht. Sie wusste, dass sie nicht schön war, dennoch war es eine nette Schmeichelei – ganz besonders, da sie von ihm kam.
Einen Moment ließ Marcos die Ruder ruhen. Ruhig sah er sie an. „Ich habe nie eine schönere Frau gesehen als Euch, Julietta.“
Sie schüttelte den Kopf. Schön war Marcos, eine ebenso klassische Schönheit besaß er wie die antiken römischen und griechischen Statuen. Alle Frauen Venedigs träumten von ihm. Jede würde ihr langes Haar opfern, wenn sie in diesem Augenblick mit der großen, schlanken Julietta Bassano tauschen könnte. Doch in dieser Nacht konnte sie sich einbilden, sie gehörten zusammen.
„Was ist denn nun Euer Geheimnis?“, fragte er, als er die Ruder wieder aufgenommen hatte und das Boot sie weiter hinaus in die Lagune trug.
Julietta hatte Mühe, sich an ihre Geschichte zu erinnern. „Nun, da war dieser ansehnliche Junge, dessen Familie angeblich nach einer Braut für ihn suchte. Mein Vater wollte ein Tanzfest veranstalten, und die Familie des Jungen war auch eingeladen. Ich hatte nur eines im Sinn, er sollte mich bewundern. Deshalb schmiedete ich mit Hilfe einer Dienerin einen Plan.“
„Einen Liebestrank?“
„Natürlich nicht. Das wirkt sowieso nie. Nein, mein Plan war viel einfacher. Wir stopften Bälle in Strümpfe und nähten die unter mein Mieder. Und siehe da – ich hatte endlich einen herrlichen Busen.“
„Eine gute Idee.“
„Fanden wir auch.“
„Und? War der Junge beeindruckt? Ich wäre es bestimmt gewesen.“
„Zuerst wohl. Er bat mich, mit ihm eine Moresca zu tanzen. Ich war überglücklich und wurde von allen Freundinnen beneidet – bis das Schicksal zuschlug.“
„Nein …“
„Doch.“ Julietta seufzte in Erinnerung an diesen Moment. „Mitten im Tanz lösten sich die Strümpfe aus ihrer Vertäuung. Sie flatterten mir zu Füßen, und mein Busen war plötzlich wieder so flach wie zuvor. Vor ganz Mailand hatte ich mich blamiert.“
Marcos lachte lauthals. Es war ein
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