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Die schöne Spionin

Die schöne Spionin

Titel: Die schöne Spionin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Celeste Bradley
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Er wusste, dass es für einen groß gewachsenen Mann vermutlich keine größere Folter gab, als ihm die Hand an die Fußgelenke zu fesseln, so dass er sich nie ganz strecken konnte.
    Er wusste, dass grobes Seil sich nicht dehnte, Haut aber sehr wohl riss. Er wusste, dass Zähne gegen ein seegeprüftes Hanfseil nichts ausrichten konnten. Er wusste, dass er schlussendlich sterben würde.
    Er wusste, dass er langsam und unausweichlich vom wohl genährten, zivilisierten Menschen zum blutrünstigen Tier wurde, das sich auf den nächstbesten Menschen stürzte, der seine winzige Zelle betrat.
    Diesen Faktor fand er absolut akzeptabel.
    Das hohle Geräusch von Schritten hallte vor seiner niedrigen, engen Tür wieder. Zeit fürs Frühstück. Natürlich war es die einzige Mahlzeit am Tag, aber es amüsierte ihn, auf Feinheiten zu achten.
    James ließ den Kopf auf den Strohsack fallen und stellte sich bewusstlos. Nicht, dass er je weit davon entfernt gewesen wäre. Doch wenn er sich ruhig hielt, würde der Kerl, der ihm das Essen brachte, schnell wieder gehen und ihm nur ein, zwei boshafte Tritte verpassen.
    Der stämmige Mann, den James im Geiste Bull getauft hatte, warf das Brot neben den flachen Strohsack, ließ den Wasserkübel verschwenderisch überschwappen und zielte einen gemeinen Tritt in James’ Seite.
    »Wach auf! Aufwachen, fauler Engländer!«
    James linste unter achtsam gesenkten Lidern heraus und traute dem Kerl zu, dass er ihn das nächste Mal in die Eier trat. Aber als der Schuft sich umdrehte und aus der Hintertasche seiner Hosen eine zusammengerollte Gazette ragte, vergaß James jeden Selbstschutz.
    Eine Zeitung! Aus einer örtlichen Gazette würde er eine Menge nützlicher Dinge erfahren. Wo er war, das Datum, den Kriegsverlauf…
    Er musste sie haben. Aber wie?
    Nun, fürs Erste würde der faule Engländer aufwachen. Ächzend rollte er sich auf den Boden, dann versuchte er, die Beine unter sich zu ziehen.
    Es war beängstigend, wie wenig er seine Schwäche simulieren musste. Wenn er nicht schnell hier herauskam, war er bald nicht mehr fähig zu fliehen.
    Der Franzose drehte sich grunzend um und hob den Fuß, um wieder nach ihm zu treten. Vornübergebeugt war es relativ leicht für James, den Fuß wie zur Stütze zu packen und den schweren Mann zu Boden zu ziehen.
    Im Fallen stieß Bull einen lauten Schrei aus. Verdammt, die anderen würden gleich angerannt kommen.
    Es brauchte mehrere Versuche, dem Mann die Zeitung aus der Tasche zu ziehen, ohne dass er merkte, worauf James aus war. Endlich fiel sie zu Boden. James kickte sie mit zusammengebundenen Füßen hinter den Strohsack, während sie zusammen über den Boden rollten.
    Dann ließ er sich von Bull abschütteln und überließ sich widerstandslos dem Rest seiner Peiniger, die wütend in die winzige Kajüte drängten. Sie stießen ihn von einem zum anderen, verfluchten ihn in heftigem Gossen-Französisch und ließen ihren Frust an seinem stolpernden, nutzlosen Körper aus.
    Noch im Bewusstloswerden machte James sich im Geiste eine Notiz, dass es sich alles in allem um sechs Männer handelte. So wie es aussah, gingen die Prügel noch eine Zeit lang weiter.
    Er hoffte nur, dass er, wenn sie fertig waren, noch wusste, warum er sie bekommen hatte.
    Agatha beendete ihren Rundgang durch den zweiten Stock und ging die breite Marmortreppe zum Vestibül hinunter. Im zweiten und dritten Stock lagen mehrere neue Männer, aber keiner von ihnen war Jamie, und keiner von ihnen kannte Jamie.
    Heute Morgen war sie die Liste der Gefallenen durchgegangen, die an der Eingangstür aushing, und hatte wie üblich den Atem angehalten, bis sie wusste, dass James nicht unter den Toten war.
    Die letzten paar Stufen nahm sie im Laufschritt, begierig, an die frische Luft zu kommen, so grau der Tag auch sein mochte.
    »Agatha!«
    Die vertraute Stimme ließ sie schlitternd zum Stehen kommen. Verfluchter Marmorboden aber auch! Sie stand zwar, doch sie ruderte mit den Armen wie eine Windmühle.
    »Liebe Agatha, was für ein Wildfang Sie doch sind.«
    Lavinia. Oh, wirklich entzückend. Die seidige Stimme triefte vor Gift wie die Fänge einer Viper. Sehr passend.
    Agatha hätte beinahe gekichert und wandte sich der Frau zu, die letzte Nacht versucht hatte, Simon zu verführen. Als Lavinia die Zähne zu einem freundlichen Lächeln fletschte und spitze Eckzähne zeigte, hätte sie fast die Beherrschung verloren.
    Doch sie brachte ein breites Lächeln zustande. »Oh, hallo, Lady Winchell!

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