Die schöne Spionin
ganz private Sphäre.
Simon verstummte gleichfalls, aber vor Zorn. Das Kind, das man überfallen und hintergangen hatte, war zu einer Frau geworden, die noch immer benutzt und entehrt wurde.
Simon hatte immer gedacht, James teile seine Ansichten über Prostitution. Doch das hier war der Gegenbeweis: eine Frau, die James sich zu seinem Vergnügen hielt und für die er, wie er selbst klargestellt hatte, kaum Gefühle hegte.
»Du brauchst die Frau ja nicht zu heiraten
,
Simon. Du brauchst sie nicht einmal zu lieben.«
Doch Agatha liebte James. Das sah man an der zärtlichen Art, mit der sie ihn Jamie nannte und der beachtlichen Entschlossenheit, mit der sie nach ihm suchte.
War James denn wirklich besser als Reggie?
Agatha lächelte ihn ein wenig scheu an. »Ich habe das nie irgendwem erzählt, nicht einmal Jamie. Ich weiß nicht, warum ich es dir erzähle. Vielleicht weil ich denke, dass du dich mit Leuten wie Reggie auskennst.«
Simon sah ihr in die Augen und nickte. Warum leugnen, es ließ sich eh nicht bestreiten.
Agatha ging befriedigt weiter. »Ich habe mich nie mehr wirklich sicher gefühlt, auch wenn es hier in London besser ist. Aber die Welt ist für mich ein dunklerer Ort geworden.«
Sie holte tief Luft. »Es gibt auf dieser Welt eben auch Schlechtigkeit. Und wenn diese Schlechtigkeit einen berührt, dann verändert man sich. Man verliert etwas Kostbares. Wenn man stark ist, dann gewinnt man dabei vielleicht an Weisheit, aber meistens verliert man nur.«
Es war, als hätte sie Simon eine Seite aus dem Buch seiner Vergangenheit vorgelesen. Simon verspürte etwas, dass sich verdächtig nach einem Anflug von Dankbarkeit anfühlte. Ein Mann sprach solche Worte nicht aus. Ein Mann musste immer unbeirrt weitermachen.
Er erkannte zum ersten Mal, dass eine Frau ihre ganz eigene Stärke haben konnte, weil sie sich nicht fürchtete, von ihren Gefühlen zu sprechen.
Und manchmal auch von seinen.
Agatha konnte nicht glauben, dass sie Simon mitten auf dem Markt von Reggie, dem Rüpel, erzählt hatte. Die Vorstellung, dass jemand mitgehört hatte, war verletzend.
Andererseits hatte Simon es für nötig befunden, sich nah zu ihr zu beugen, also bestand vielleicht kein Grund zur Verlegenheit.
Was Simon betraf, war ihr nicht im Mindesten unwohl. Es war richtig, dass er es wusste.
Als er sie gebeten hatte, ihm von sich zu erzählen, wollte sie anfangs lügen. Es war besorgniserregend, wie leicht ihr das Lügen mittlerweile fiel.
Doch dann, als er von seiner Mutter erzählt hatte und einen Augenblick lang ein heftiger Schmerz in seinen Augen gestanden hatte, wollte sie ihm etwas zurückgeben.
Eine Wahrheit gegen eine Wahrheit.
»Wollen wir nach Hause fahren, Agatha?«
Eine nebliger Regen fiel auf den Marktplatz, und Agatha sah den Händlern zu, die nicht das Glück hatten, unter einem festen Dach zu arbeiten, wie sie hastig ihre Waren vor der Nässe schützten. Simon lächelte sie an. Und Reggie, der Rüpel, war wieder weit, weit weg.
Agatha lächelte zurück. »Bist du so weit, über unseren Plan zu reden?«
Der weiße Blitz von einem Lächeln fuhr über sein Gesicht, jenes Lächeln, das ihr Schauer über den Rücken und bis in die Haarspitzen jagte. Und als er ihre Hand nahm und die Finger in ihre verschränkte, wurde ihr ganz warm.
»Also gut, Agatha. Wir besprechen unseren Plan im Wagen.«
In dem Augenblick, als er sie berührte, war jeder vernünftige Gedanke verflogen, und sie konnte nur noch daran denken, wie sehr sie ihn küssen wollte und zwar echt.
Sie fürchtete, er wuchs ihr langsam ans Herz. Also entschied sie, dass sie an Simon denken würde wie an Jamie. Wie an einen Bruder, auf den man sich verlassen und dem man vertrauen konnte.
Nicht wie an jemanden, in den man sich verlieben konnte.
Am nächsten Morgen, als sie im blauen Salon ihren Plan ausarbeiteten, begriff Simon, auf was genau er sich eingelassen hatte. Agatha verfügte über strategische Fähigkeiten, an denen es manchem General mangelte und über mehr als genug Dreistigkeit, ihr Vorhaben auch auszuführen.
Wie üblich, war sie gerade dann, wenn sie ihren chirurgisch präzisen Verstand benutzte, am attraktivsten. Im Moment saß sie auf dem Boden, gleich neben dem Sessel, in den er sich immer lümmelte. Sie ignorierte ihn dezidiert.
Er hasste das.
Sie saß in einem Kreis aus geöffneten Einladungsschreiben, hatte einen Kalender auf dem Schoß und schrieb in ein Notizbuch, in dem die gesellschaftlichen Verbindungen und Hobbys
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