Die schoene Tote im alten Schlachthof
Seine Kollegen durchkämmten währenddessen
systematisch die anliegenden Büros. Die Rechner der beiden Mitarbeiter sowie
den von Natascha Berggrün hatten sie bereits konfisziert und in ihre
Dienstwagen geladen. Bald würden die darauf enthaltenen Daten im
Polizeipräsidium von erfahrenen Computerspezialisten ausgewertet werden, und
denen, das wusste Ferschweiler, entging nichts.
Zufrieden war er trotzdem nicht. Er war zwar voller Zuversicht, dass
die Kollegen etwas finden würden, aber Kafka schien er nach dem aktuellen Stand
der Dinge vorerst verloren zu haben. Durch die offen stehende Zimmertür sah er
zu, wie die Kollegen den Inhalt der Schränke und Schubladen in Helena Claus’
Büro angingen. Auf die Ergebnisse der Durchsuchung war er gespannt. Oftmals wurden
bei solchen Aktionen persönliche Geheimnisse zutage gefördert, von denen
eigentlich niemand etwas erfahren sollte. Mal sehen, was man so alles bei
Helena Claus finden würde.
»Herr Ferschweiler. Von Ihnen bin ich wirklich enttäuscht. Ich
dachte, Sie würden mir vertrauen. Und nun das!«
Helena Claus hatte den Besprechungsraum betreten, sichtlich außer
sich. Die Tasse in ihrer Hand zitterte, ihre Augenlider flatterten leicht.
»Was soll das alles hier, Herr Kommissar?«, wollte sie von Ferschweiler
wissen.
»Liebe Frau Claus«, antwortete dieser bedächtig. »Lassen Sie uns
doch einmal ganz in Ruhe miteinander reden. Ganz sachlich, ohne zu flirten. Sie
wissen, was ich meine?«
Helena Claus wurde allmählich ruhiger, aber sie trat immer noch
unsicher von einem Fuß auf den anderen.
»Herr Ferschweiler, ich habe nicht nur so mit Ihnen geflirtet. Ich
finde Sie wirklich durch und durch sympathisch«, antwortete sie endlich. Auch
zu ihrem Lächeln hatte sie zurückgefunden. »Verstehen Sie mich nicht falsch,
aber was sollte ich denn machen?«
Ferschweiler spürte, dass Helena Claus ihn falsch einschätzte und
glaubte, ihn durch ihre weiblichen Reize manipulieren zu können. Das war seine
Chance, sie aus dem Konzept zu bringen.
»Aber hätten Sie mir nicht sagen können, dass Sie und Kafka ein Paar
sind?«
»Ein Paar? Dass ich nicht lache! Ich habe mit ihm nichts zu tun,
außer natürlich rein dienstlich an der Akademie.«
»Natürlich an der Akademie, wo denn sonst?«, sagte Ferschweiler
unschuldig.
Irritiert schaute ihn die dunkelhaarige Schöne an.
»Aber dass Sie sich gestern Nacht mit Ihrem Top-Dozenten im Turmzimmer
getroffen haben, davon wollen Sie mir lieber nichts erzählen, nehme ich an?«
Auf Helena Claus’ Gesicht stand jähes Entsetzen. Die Tasse fiel ihr aus
der Hand, und die kanadische Flagge, die diese schmückte, zerbarst auf dem
Fußboden in unzählige Teile.
»Woher … woher wissen Sie denn das? Wir haben doch immer
versucht, so diskret wie möglich zu sein.«
»Tja, meine Liebe. Sie sollten die Trierer Polizei eben nicht unterschätzen.
Ich habe Sie letzte Nacht beobachtet. Und ich war doch sehr überrascht über
das, was ich sehen musste, ganz ehrlich. Ich hätte anderes von Ihnen erwartet.«
Helena Claus brach in Tränen aus. »Herr Kommissar, können Sie das
denn nicht verstehen? Sie haben Laszlo doch persönlich kennengelernt!«
Ja, dachte Ferschweiler, das ist ein echter Kotzbrocken. Aber er schwieg.
»Ich meine, ich bin doch auch nur eine Frau. Entschuldigen Sie, aber
so attraktiv wie er ist … Und so verständnisvoll. So einen Mann habe ich
noch nie zuvor kennengelernt.« Sie weinte nun ungehemmt. »Verstehen Sie mich
bitte, er versprach mir so viel. Und er liebte mich wirklich.«
»Und da sind Sie sich sicher? Er liebte Sie wirklich?«
»Ja, er war bereit, alles für mich aufzugeben!«
»Alles? Was denn?«
»Ach, Sie haben doch keine Ahnung. Sie wollen ihm nur etwas
anhängen. Aber Sie liegen falsch, egal, was er Ihrer Meinung nach getan hat.«
Helena Claus musste ein Taschentuch zur Hand nehmen. Ihre Tränen liefen
ununterbrochen. Mittlerweile hatte sie sich hingesetzt.
»Okay, Frau Claus«, sagte Ferschweiler. »Was genau haben Sie gestern
Nacht mit Herrn Kafka im Turmzimmer gemacht?« Eindringlich fügte er hinzu: »Und
ich erwarte jetzt eine ehrliche Antwort!«
Helena Claus gewann bei dieser Frage unvermittelt ihre Fassung
zurück.
»Warum interessiert Sie denn das? Wollen Sie sich etwa mit mir
verabreden?«
Unter anderen Umständen wäre Ferschweiler vielleicht auf dieses sehr
deutliche Angebot eingegangen. Jetzt erwiderte er jedoch: »Nein, haben Sie
vielen Dank. Ich möchte diesen Fall
Weitere Kostenlose Bücher