Die Schöne und der Leopard (German Edition)
die jetzt verlassen war.
Die Sterne funkelten; diese Nacht war sternklar. Das Kreuz des Südens leuchtete am Himmel, und die Sterne leuchteten viel heller als zu Hause in den USA. Der Bandama gluckerte und gluckste in seinem Flussbett. Ein breiter Dschungelstreifen trennte das Filmcamp und die Faktorei von dem Eingeborenendorf Bouradake, das zahlreiche Filmstatisten stellte.
Vom Dorf war hier nichts zu bemerken.
Sue-Ann sah, wie sich Norma Blake dem riesigen Tor näherte. Die Blondine verbarg sich hinter einer langgestreckten Hütte. Norma Blake schaute sich um, ohne die Verfolgerin zu bemerken.
Jetzt wandte sie sich dem Vollmond zu und rief zu ihm hinauf: »Schicke mir Tombé! Ich rufe den Leopardengott! Tombé, komm zu mir, wie bei der Feier im Urwald. – Erwähle mich, Tombé, und ich will dir eine gehorsame Dienerin sein.«
Sue-Ann erschauerte. Sie hatte entsetzlich unter den Alpträumen gelitten und konnte nicht verstehen, wie jemand sie freiwillig herausforderte.
Knarrend öffnete sich der rechte Torflügel ein Stück. Ein großer Leopard schlich hervor. Sue-Ann wollte schreien, unterließ es dann aber, um die Raubkatze nicht zu reizen. Norma Blakes Leben stand auf dem Spiel, glaubte Sue-Ann. Wegzulaufen und Hilfe zu holen, erschien ihr im Moment nicht ratsam. Denn bis jemand kam, dauerte es zu lange, und wenn der Leopard über Norma Blake herfiel, kam die Rettung zu spät, wenn sich Sue-Ann entfernte.
Hierzubleiben und vielleicht selbst etwas ausrichten zu können, zu schreien oder den Leoparden abzulenken, würde ratsamer sein. Wenn ich schreie oder einen Stein auf ihn werfe, lässt er hoffentlich von Norma ab, dachte Sue-Ann. Dann muss ich schleunigst in die Hütte schlüpfen.
Sie wollte ihre Filmkarriere nicht von einem Leoparden zerfleischt an der Elfenbeinküste beenden.
Doch der Leopard griff die dunkelhaarige Schauspielerin nicht an. Er schmiegte sich an sie und strich ihr um die Beine. Sue-Ann hörte ihn deutlich schnurren, wie einen Kater, der sich behaglich fühlte, doch viel lauter.
Sie wollte ihren Augen nicht trauen, als Norma ins Nackenfell des Leoparden griff, sich auf ihn setzte und von ihm davontragen ließ. Die Schauspielerin und der Leopard verschwanden durchs Tor. Die Gefahr für sich vergessend, lief Sue-Ann hin. Sie spähte durchs Tor.
Norma Blake wurde von dem Leoparden in den Dschungel getragen. Sie verschwand. Dann ertönte ein Kichern, und Sue-Ann hörte das Schwirren eines Juju-Holzes. Sie wusste schon, wen sie sehen würde, noch ehe sie hinschaute.
Lomungé stand im gleißenden Mondlicht, seine Tanzmaske mit der Dämonenfratze in der einen Hand. Mit der anderen ließ er das Schwirrholz kreisen. Sue-Ann schaute ihm in die Augen und spürte etwas wie einen leichten elektrischen Schlag. Eine Kraft, der sie nichts entgegenzusetzen hatte, wirkte auf sie ein.
Die blonde Schauspielerin ließ die Arme sinken. Sie stand da wie eine Statue. Der hässliche Medizinmann, mit Affenköpfen, Fetischen und undefinierbaren Fellbündeln als Schmuck behängt, tanzte um sie herum.
Er berührte die Hypnotisierte mit seinem Juju-Stab, einem 75 Zentimeter langen verkleinerten Gegenstück des vor seiner Hütte im Dorf stehenden Totempfahls. In der Kwasprache und einem Idiom, das auch kein Eingeborener verstanden hätte, rief Lomungé den Leopardengott an.
Dieses Idiom war die archaische Sprache jener grauen Vorzeit, in der es noch keine Menschen im heutigen Sinn gegeben hatte. Als die Echsenwesen von Lemuria, die Schlangenkreaturen von Mu und die Werleoparden N'Chibas eine prähistorische Welt beherrscht hatten, die von Vulkanketten, heißen Meeren und Farn- und Schachtelhalmwäldern bedeckt war.
In der Flugsauriere, Brontosaurusse und der zehn Meter große, hundert Tonnen schwere Tyrannosaurus Rex ihre Beute suchten und von Tombés Magie im Zaum gehalten wurden. In der Ichthyosaurusse ihre langen Hälse mit den kleinen Köpfen am Ende aus dem warmen Wasser des Pleistozäns reckten.
Aus jener Vorzeit, in der die monolithische Hauptstadt des Reichs von N'Chiba auf dieser Welt sich an der damals noch völlig anders gestalteten Küste erhob.
Lomungé wandte sich nach der Beschwörung an sein Opfer. Er hob die Rechte, an der mörderische Stahlklauen befestigt waren.
»Bei Tombé, dem Alten aus dem Abgrund jenseits der Sterne, aus den finsteren Schächten durch Dimensionen, durch Raum und durch Zeit. Ihr sollt meinen Zorn spüren. Ich, Lomungé, werde euch Weißen zeigen, was wirklich die
Weitere Kostenlose Bücher