Die schoenen Hyaenen
Papiertüte im Arm. Sie betrachtete Jahne in ihrem alten Bademantel und ihrem vom Duschen nassen Haar. »Heute abend in großer Gala, wie?« meinte sie trocken. Mai trug wie stets ein weißes Sweatshirt und eine schwarze Hose zu weißen Joggingschuhen.
Sie stellte ihre Tüte auf dem Couchtisch ab und zog eine Flasche Veuve Cliquot heraus. »Napoleon und Josephine mochten diesen Champagner. Das weiß ich nur vom Hören Sagen. Klar. Nicht einmal ich bin so alt, um es aus erster Hand zu wissen. Ich gehe einmal davon aus, daß Sie keine Sektgläser haben. Darum habe ich meine mitgebracht.« Mai lächelte und stellte zwei hauchzarte, geschliffene Champagnerflöten neben die Flasche. »Einen Eiskühler haben sicher sogar Sie?«
Jahne nickte lachend. Sie füllte einen Eisbehälter mit Eiswürfeln aus dem Kühlschrank. »Bin ich eine solche Banausin?«
»Das ist jeder unter Vierzig. Ich war es auch.« Mai zog eine zweite Flasche heraus. »Glauben Sie nicht, ich wäre mit französischem Champagner groß geworden. Ich war nur die Tochter eines Schneiders. Meine Schönheit hat mir Zutritt zum Club verschafft. Danach habe ich zehn oder zwanzig Jahre gebraucht, bis ich mich richtig auskannte.«
»Zwei Flaschen, Mai?« kicherte Jahne. »Sehr extravagant.« »Ist doch Ihr erstes großes Debut, oder nicht? Nächstes Mal können wir uns dann zurückhalten.«
Es blieben ihnen noch sechs Minuten, bis der Film begann. Mai entkorkte die Flasche. Sie prosteten sich zu.
»Es ist traurig, wenn Frauen ihren Champagner selbst entkorken müssen. Finden Sie nicht auch?« meinte Mai.
Jahne nickte. Sie dachte an Michael. Seit Mittwoch hatte er nicht angerufen. Erregt und beschämt dachte sie an den Abend mit ihm. War sie für ihn nur eine weitere in der Reihe seiner Eroberungen? Würde er wieder anrufen? Er hatte so warmherzig und ehrlich gewirkt...
»Es fängt an!« rief Mai.
Die Musik setzte ein. Martha und die Vandellas mit ihrem Song »Dancing in the Street«. Ein roter Faden schlängelte sich über den Bildschirm zum Rhythmus der Musik.
Dem Faden gesellten sich ein Dutzend weiterer, nein hundert weiterer Fäden hinzu. Dann ein weißer. Auch er bewegte sich mit der Musik, auch zu ihm gesellten sich hundert weiße Fäden. Das Bild einer Frau auf einem Motorrad wurde darüber projiziert, eine zweite Frau, eine dritte. Hinter ihnen formten die Fäden nun deutlich erkennbar die Streifen der Nationalflagge mit einem blauen Flecken in der linken oberen Ecke. Eine andere Kameraeinstellung blendete Lila, Jahne und am Ende Sharleen in Großaufnahme ein: Crimson, Cara und Clover. Die Namen standen unter den Gesichtern. Nun blieb nur noch die Fahne als Hintergrund. Plötzlich wurden die Fäden zu dem Haar der Mädchen: rot, blauschwarz und weißblond. Auch das Haar bewegte sich zur Musik. Der Titel erschien, zusammengesetzt aus winzigen weißen Sternchen.
Das Programm begann mit Lärm, schnellen, chaotischen Kameraschnitten. Das war die Demonstration der Kriegsgegner, die in Bakersfield aufgenommen worden war. Marty hatte nicht geruht, bis alles perfekt war. Tatsächlich wirkte es jetzt wie ein Ausschnitt aus einem Dokumentarfilm. Marty benutzte Ein- und Überblendungen. Es waren die 60er Jahre mit einem 90er Schnitt. Jahne verfolgte ihre erste Begegnung als Cara mit Crimson auf den Stufen des Gerichtsgebäudes. Sie wurden von Polizisten umzingelt und ins Gefängnis gebracht. Der Dialog lief gut. Danach folgte eine Schwarzweiß-Montage. Fingerabdrücke wurden den Mädchen abgenommen, Erkennungsfotos angefertigt.
»Der Film ist gut«, fand Mai bei der ersten Unterbrechung durch Werbespots.
»Finde ich auch.« Doch Jahne wußte nicht, ob er gut genug war und zum Erfolg reichte. War er vielleicht gar zu gut? Überforderte er die Masse der Zuschauer? Marty hielt mit seinem Film ein Plädoyer für eine bessere, hoffnungsvollere Zukunft. Er nutzte dabei als Argument das gute Aussehen, die Jugend und den Sex-Appeal seiner Hauptdarstellerinnen.
Alles fügte sich harmonisch zusammen. Daß nur eine einzige Kamera eingesetzt wurde, Film- nicht Fernsehaufnahmen gedreht wurden, daß Marty vorwiegend vor Ort, selten im Studio filmte, wie er die Stunts und die pfiffigen Sondereffekte zur Geltung brachte. Jahne wußte, daß jede Folge über eine Million Dollar gekostet hatte. Elf hatten sie schon fertiggestellt.
Nein, dieser Produktion brauchte sich niemand zu schämen. Sie besaß Qualität. Traurig machte Jahne sich bewußt, daß nur Mai und sie
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