Die Schönen und Verdammten
Absichten steckte er tief im finstersten Mittelalter.«
»Welche Haltung hatte er dir gegenüber?«
»Dazu wollte ich gerade kommen. Wie ich dir schon gesagt habe – habe ich es dir schon gesagt? –, sah er mächtig gut aus: große, braune, ehrliche Augen und ein Lächeln, welches garantiert, dass das Herz dahinter aus zwanzig Karat Gold ist. Jung und leichtgläubig, wie ich war, dachte ich, er sei einigermaßen besonnen. So habe ich ihn eines Abends feurig geküsst, als wir nach einem Tanz im Homestead in Hot Springs herumgefahren sind. Es war eine wunderbare Woche gewesen, ich weiß es noch – mit den üppigsten Bäumen, die sich fast wie grüner Seifenschaum übers ganze Tal erstreckten, und einem Oktobernebel, der morgens aus ihnen aufstieg, als hätte man Freudenfeuer angezündet, um die Bäume braun zu färben…«
»Was ist mit deinem Freund und seinen Idealen?«, unterbrach Anthony sie.
»Als er mich küsste, hat er anscheinend gedacht, dass er auch mit etwas mehr ungestraft davonkäme, dass ich nicht [240] ›achtbar‹ zu sein brauchte wie diese Beatrice-Fairfax-Flamme seiner Phantasie.«
»Was hat er getan?«
»Nicht viel. Ich habe ihn von einer fünf Meter hohen Uferböschung gestürzt, bevor er in die Gänge kam.«
»Verletzt?«, fragte Anthony lachend.
»Er hat sich den Arm gebrochen und den Knöchel verstaucht. Die Geschichte hat er in ganz Hot Springs herumerzählt, und als sein Arm verheilt war, hat sich ein Mann namens Barley, der mich mochte, mit ihm gerauft und ihn gleich noch einmal gebrochen. Ach, es war ein heilloses Durcheinander. Er hat damit gedroht, Barley zu verklagen, und Barley – er stammte aus Georgia – wurde gesehen, wie er in der Stadt einen Revolver kaufte. Aber vorher hatte Mama mich schon, ganz gegen meinen Willen, wieder nach Norden geschleppt, deswegen habe ich nie herausgefunden, was alles passiert ist – obwohl ich Barley einmal im Vestibül des Vanderbilt gesehen habe.«
Anthony lachte lange und laut.
»Was für eine Karriere! Vermutlich sollte ich wütend sein, weil du so viele Männer geküsst hast. Bin ich aber nicht.«
Da setzte sie sich im Bett auf.
»Komisch, aber ich bin mir sicher, dass diese Küsse bei mir kein Mal hinterlassen haben – ich meine, nicht den Makel der Promiskuität –, obwohl mir ein Mann einmal allen Ernstes gesagt hat, der Gedanke, ich sei ein öffentliches Trinkglas gewesen, sei ihm verhasst.«
»Der hatte vielleicht Nerven.«
»Ich habe nur gelacht und ihm gesagt, er solle bei mir [241] lieber an einen Freundschaftspokal denken, der von Hand zu Hand wandert, ohne deswegen geringgeschätzt zu werden.«
»Irgendwie stört es mich nicht – andererseits würde es mich natürlich stören, wenn du mehr getan hättest, als sie zu küssen. Aber ich glaube, du bist zur Eifersucht völlig unfähig, außer dass du dich in deiner Eitelkeit gekränkt fühlst. Warum macht es dir nichts aus, was ich getrieben habe? Wäre es dir nicht lieber, wenn ich vollkommen unschuldig gewesen wäre?«
»Es kommt auf den Eindruck an, den es auf dich gemacht haben mag. Meine Küsse kamen zustande, weil der Mann gut aussah oder weil es einen glänzenden Mond gab oder auch weil ich etwas sentimental und leicht gerührt war. Aber das ist auch schon alles – es hatte auf mich keinerlei Wirkung. Aber du würdest dich daran erinnern und dich von deinen Erinnerungen quälen und beunruhigen lassen.«
»Hast du denn nie jemanden geküsst, so wie du mich geküsst hast?«
»Nein«, erwiderte sie schlicht. »Wie ich dir schon gesagt habe, haben die Männer – ach, allerhand versucht. Jedes hübsche Mädchen macht diese Erfahrung… Verstehst du«, nahm sie den Faden wieder auf, »es ist mir gleichgültig, mit wie vielen Frauen du dich in der Vergangenheit herumgetrieben hast, solange es nur um körperliche Befriedigung ging, aber die Vorstellung, dass du längere Zeit mit einer anderen Frau zusammengelebt hättest oder auch nur ein beliebiges Mädchen heiraten wolltest, könnte ich, glaube ich, nicht ertragen. Irgendwie ist das etwas anderes. Du würdest dich an all die kleinen Vertrautheiten erinnern – und die [242] würden die Frische vermindern, die schließlich der kostbarste Bestandteil der Liebe ist.«
Leidenschaftlich zog er sie zu sich aufs Kopfkissen.
»O mein Liebling«, flüsterte er, »als würde ich mich an irgendetwas anderes als an deine lieben Küsse erinnern.«
Daraufhin Gloria, mit äußerst sanfter Stimme: »Anthony, hat da nicht
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