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Die schönste Zeit des Lebens

Die schönste Zeit des Lebens

Titel: Die schönste Zeit des Lebens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Langen Müller
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nicht, woher es rührt, es ist plötzlich da. Plötzlich hat er das Gefühl, hier am richtigen Platz zu sein, ganz selbstverständlich am richtigen Platz. Wenn Frau Sternheim ihn jetzt fragen würde, ob er glücklich ist, er würde vielleicht ja sagen, einfach ja.
    Aber hier im Schock fragt ihn keiner, wie er sich fühlt oder was er denkt oder was sein Lebensplan ist. Hier genügt es, dass er da ist, mit den anderen an der Theke steht, eingehüllt in die Musik wie in ein wärmendes Tuch. Hier braucht er niemand gegenüber Rechenschaft abzulegen für das, was er tut, für das, was er sagt. Wenn seine Mutter ihn morgen früh fragt, wo er gewesen sei, wird er ihr sagen, dass er im Schock war, und wenn sie weiter fragt, was er dort gemacht habe, wird er ihr antworten: Nichts weiter. Es hat keinen Sinn, ihr erklären zu wollen, was das ist, wenn sie hier an der hinteren Ecke der Theke nebeneinanderstehen, sich der Musik aussetzen, die aus dem Lautsprecher dringt, dann und wann das Glas heben, sich zunicken, trinken. Das kann sie nicht begreifen, das kann keiner der Erwachsenen begreifen, dass dies hier eine Zuflucht ist, eine lärmende, dröhnende Insel der Zuflucht.
    Und dann auf einmal spielen sie tatsächlich Bob Marley Coming in from the cold .
    He, Alter, sagt Tom. Das ist unser Lied.
    Er zieht Andy, der sich sträubt, vielleicht auch nur so tut, lachend hinüber Richtung Tanzfläche. Robert stellt sein Bier ab, mit dem Rücken gegen die Theke gelehnt schaut er eine Weile zu, dann folgt er den beiden auf die Tanzfläche. Andy stellt sich tot, das tut er auch immer, wenn Marita ihn auf die Tanzfläche zieht. Stumm und unbeweglich, mit geschlossenen Augen steht er inmitten der Tanzenden, und wenn alle denken, der ist eingeschlafen oder total bekifft und fällt gleich um, dann krümmt er sich plötzlich, geht in die Hocke, schraubt sich langsam nach oben, stampft mit dem rechten Fuß auf, einmal, zweimal, dreimal. It’s you, it’s you, it’s you I’m talking to, singt Bob Marley, singen Andy, Tom und Robert, und: Why do you look so sad and forsaken? When one door is closed, don’t you know other is open? Andy lacht, ein wehmütiges Lachen ist das, wehmütig und trotzig, sie tanzen zu dritt, eng beieinander, ohne sich zu berühren, tanzen in einer Hülle aus Zellophan, vielleicht sind sie auch auf den Meeresboden gesunken, tanzen da unten im trüben Licht der Tiefe wie geheimnisvolle Wesen, halb Rochen, halb Mensch, und aus ihren Mündern steigen lange Girlanden aus Luftblasen nach oben: In this life, in this life … Coming in from the cold …
    Robert weiß nicht, wie lange sie getanzt haben. Es ist, als wäre eine Ewigkeit vergangen, als die Musik plötzlich abbricht. Stille. Der DJ auf dem Podium steht auf, reckt sich, geht zur Seite und spricht in sein Handy. Jemand macht das Licht an. Rundherum alles überdeutlich, die Dinge, die Menschen, überdeutlich und zugleich unwirklich wie im Traum. Als sähe er zum ersten Mal ihr Wesen, so klar, so nüchtern und doch glänzend vor Bedeutung bieten sie sich Roberts Augen dar. Und dann mit schneidender Schärfe der Gedanke oder vielmehr das Gefühl: Die Welt, in der ich lebe, ist nicht die ganze Welt, was vor Augen liegt, ist das eine, aber da ist noch etwas anderes, eine andere Welt, die sich in meinem Hinterkopf ins Unendliche dehnt.
    Die Tanzfläche leert sich. Robert schaut sich um, die Freunde schon auf dem Weg zurück zur Theke, er dreht sich um, will ihnen folgen.
    Hallo!
    Vor ihm steht ein Mädchen, eine junge Frau, fast so groß wie er, lange schwarze Haare, dunkle Augen, unglaublich große, dunkle Augen.
    Hallo, sagt Robert.
    Wie heißt du, sagt das Mädchen.
    Robert, sagt er.
    Ich heiße Fari.
    Fari?
    Warum steht sie immer noch da und schaut ihn an mit ihren Märchenbuchaugen? Ist da nicht ein spöttisches Funkeln in ihnen? Die Tanzfläche ist mittlerweile fast leer, alle drängen durch die Tür nach draußen auf die Straße. Sie stehen sich gegenüber, wie ausgestellt im hellen Licht, und Robert denkt, dass er das eigentlich nicht will, hier stehen und sie anschauen und nichts sagen können.
    Das ist ein iranischer Name, sagt sie. Eigentlich Farideh. Aber alle nennen mich Fari.
    Fari, Farideh. Der Name klingt in ihm nach, als wecke er eine Erinnerung, und auf einmal sagt er doch noch etwas, etwas, was er eigentlich gar nicht sagen will, was ihm hinterher auch gleich albern und peinlich vorkommt. Er sagt: Kennst du die Geschichten aus Tausendundeiner

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