Die Schokoladendiät
Schnappschüsse von mir machen, während ich eintreffe. Auch wenn ich zugegebenermaßen davon ausgegangen war, dass alle beunruhigt durch meine Verspätung in der Kapelle sitzen und an den Nägeln knabbern würden.
«Das war doch eigentlich ein Mordsspaß», zwinkere ich meinen Freundinnen zu. «Wie wir es geschafft haben, das alles ohne einen Kratzer zu überstehen, ist mir schleierhaft. Und jetzt gehen wir über zum eigentlichen Ernst des Tages. Seid ihr alle bereit?» Meine Brautjungfern nicken einhellig.
«Hast du dir das mit dem Jawort auch wirklich gut überlegt», fragt Nadia, die Hand auf meinen Arm gelegt.
Mein Magen zieht sich vor Nervosität zusammen, und ich bekomme kein Wort heraus. So also fühlt es sich an. Vielleicht ist die Aufregung der letzten Stunden schuld, aber irgendwie überkommt mich eine ganz eigenartige Stimmung. So, als würde das alles gar nicht wirklich mir passieren. Nur noch Minuten, und ich bin Marcus’ Ehefrau.
Ich bremse und lasse den Bentley würdevoll vor der Kapelle ausrollen. Mein Dad reißt die Beifahrertür auf. «Wo zum Teufel hast du gesteckt?», blafft er mich an. Sein Gesicht ist knallrot angelaufen, und ich muss sagen, dass ich mir die Hochzeitsansprache eines Brautvaters immer etwas anders vorgestellt habe.
Ich kann schlecht antworten: «Ich war in Nord-London und hab ein Tasche voll Drogen an zwei Dealer übergeben.» Also sage ich: «Wir mussten nochmal kurz los, das wusstest du doch.»
Er ist einem Schlaganfall so nahe, dass er kein Wort herausbekommt.
Chantal läuft um den Wagen herum und hilft mir beim Aussteigen. Ich schüttele meinen Rock aus, vergewissere mich, dass mein Brautstrauß das Abenteuer gut überstandenhat – er hat –, und dann nähern wir uns heiter dem Kapellentor.
«Jetzt ist doch alles wieder in Ordnung», beruhige ich meinen Vater. «Wir sind da, und die Hochzeit kann losgehen.» Eine Art watteweicher Benommenheit hat mich überkommen. Ich weiß nicht, wo meine Gefühle sind, aber hier bei mir sind sie jedenfalls nicht. Ich ruhe in meiner Mitte und bin gelassen wie ein Zen-Mönch.
Irgendwie hätte ich erwartet, dass die Orgel spielt, um die Gemeinde bei Laune zu halten, aber stattdessen ist es mucksmäuschenstill. Ich sehe Clive und Tristan, die bei einer besonders schönen Eibe stehen – ihre Mienen wirken angespannt, und ich kann nur hoffen, dass sie sich nicht wieder gestritten haben. Heute soll doch ein Tag der Liebe und Freude sein. Jacob ist ebenfalls da, und als er mich erblickt, kommt er mit schmerzlich verzerrtem Gesicht auf mich zu. Meine Nackenhärchen sträuben sich. Irgendwas stimmt hier nicht. Ob wir vielleicht am falschen Tag gekommen sind?
Dann höre ich meine Mutter, die wie gemartert aufschreit. Mit herausquellenden Augen kommt sie auf mich zugerannt. «O Lucy. O Lucy!»
«Was ist denn?», frage ich. Alle Leute starren mich mit betretener Miene an. Auch Dave, der Grapscher, und die grässliche Hilary, die in ihr Taschentuch schluchzt. «Was ist denn passiert?»
«Marcus», stößt meine Mutter dramatisch aufheulend hervor.
Das Blut gefriert mir in den Adern. «Was ist denn mit Marcus?»
«Er ist weg.»
70
Ich reiße die Kirchentür auf und denke, dass das bestimmt nur ein bescheuerter Streich ist. Die paar Leute, die noch schwatzend auf den Kirchenbänken sitzen, verstummen abrupt und starren mich an.
Der Organist erwacht vor Schreck zum Leben und legt laut mit einem Hochzeitsmarsch los. Ein Blick zum Altar zeigt mir, dass von einem Bräutigam weit und breit nichts zu sehen ist. Nur der Pfarrer steht da und wedelt jetzt wie wild mit den Armen, damit der Organist wieder mit dem Spielen aufhört. Die Kirche ist wunderschön geschmückt, und die kühle Luft ist erfüllt vom Duft phantastischer Lilien-, Rosen- und Orchideenarrangements. Dort, wo Marcus mit seinem Trauzeugen stehen sollte, herrscht gähnende Leere. Es ist wohl doch kein Scherz. Marcus hat mich sitzenlassen.
«Wo ist er?», frage ich unbestimmt in die Runde und drehe mich im Kreis. «Wohin ist dieser Drecksack verschwunden?»
Das endlich lässt den Organisten mitten im Spiel abbrechen. Unsere Gäste rutschen unbehaglich auf ihren Plätzen herum.
Meine Mutter stellt sich zu mir. «Er war pünktlich da», schluchzt sie. «Er hat hervorragend ausgesehen.»
Daran hege ich nicht den geringsten Zweifel. Ein Frack hat Marcus immer ausgezeichnet gekleidet. Nur scheint mein Verlobter jetzt eine Allergie dagegen entwickelt zu haben, ihn zu seiner
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