Die Schokoladendiät
Er küsst mich herzlich auf die Wange. «Du bist eine wunderbare Frau. Ich bin enorm stolz auf dich.»
«Ha ha», entgegne ich matt.
Als er weg ist, fixieren mich meine Freundinnen eindringlich. «Suppenküche?»
Ich hocke mich mit angezogenen Beinen hin, um mich vor ihren Blicken zu verschanzen. «Dort habe ich Weihnachten gefeiert», gestehe ich. Ich habe ein blödes Gefühl, weil das so klingt, als hätte ich den Tag lieber mit einem Haufen von Pennern verbracht als mit meinen liebsten Freundinnen. «Clive war auch da. Es hat richtig Spaß gemacht.» Nun gut, das war jetzt vielleicht ein bisschen übertrieben, und meine Freundinnen sehen nicht so aus, als würden sie mir auch nur ansatzweise glauben. Nur Autumn scheint mich mit ganz neuem Respekt zu betrachten.
«Ich finde das großartig von dir, Lucy», erklärt sie ernsthaft. «So selbstlos.»
«Danke.» Noch immer starren die drei mich an. Und als hätten sie alle zu Weihnachten einen Röntgenblick geschenkt bekommen, sehe ich, dass sie schon ahnen, dass das noch nicht die ganze Geschichte war. Ich zucke gewollt lässig die Achseln. «Dann bin ich heimgegangen und habe Marcus flachgelegt.»
Drei Münder sind jetzt sperrangelweit geöffnet, und drei Paar Augen sehen mich entsetzt an.
«Das hingegen war nicht besonders klug von dir, Lucy», erklärt Autumn wieder ganz ernsthaft. «Um nicht zu sagen, vollkommen bescheuert.»
«Ich weiß.» Ich lege den Kopf in die Hände. «Ich war einsam. Ich war verletzlich. Ich war betrunken.» Sie starren mich noch immer erschüttert an. «Es war
unglaublich
bescheuert», füge ich hinzu, bevor eine von ihnen es sagt. Keine meiner Freundinnen widerspricht. Aber sie waren nicht da und wissen nicht, wie elend ich mich gefühlt habe. «Und das war’s. Eine einzige Nacht. Dann habe ich ihn weggeschickt. Ohne Frühstück.»
«Junge, Junge», bemerkt Chantal. «Du weißt, wie man mit Männern umspringt.»
Wenn man bedenkt, dass sie aus einer Nation kommt, die keinen Sinn für Ironie hat, war das gar nicht schlecht.
Der grässlich juckende Ausschlag von der leidenschaftlichen Nacht unter dem Weihnachtsbaum ist beinahe verschwunden, und damit auch hoffentlich alles, was mich je wieder an Marcus erinnern wird. Energisch unterdrücke ich das Bedürfnis, mich zu kratzen. Ich hatte keine Ahnung, dass ich allergisch gegen Tannennadeln bin – oder ist das vielleicht eher eine Reaktion auf Marcus?
«Und von Mr. Sexy hast du also immer noch nichts gehört?», fragt Autumn.
«Nein.» Wie kann ich ihnen erzählen, dass er mich in den letzten Tagen mehrmals angerufen hat, ich aber mein Telefon standhaft ignoriere und meinen Computer nicht anschalte? Nie wieder will ich das verdammte Ding auch nur anrühren.
«Und warum war Clive in der Suppenküche?», fragt Nadia.
Ich senke die Stimme. «Er und Tristan haben ebenfalls Beziehungsprobleme. Was genau es ist, weiß ich nicht.» Das klingt souveräner als: Sosehr ich Clive auch gelöchert habe, er wollte nicht mit der schmutzigen Wäsche herausrücken.
«Schwule haben aufgrund ihrer sexuellen Unersättlichkeit oft Probleme mit Langzeitbeziehungen», meldet Autumn sich zu Wort, als wäre sie Expertin im Bereich der homosexuellen Beziehungsdynamik.
«Jesus», jammert Chantal. «Warum bin ich nicht als Schwuler zur Welt gekommen. Ich hatte so lange keinen Sex, dass ich bald nicht mehr in meine Hosen passe.» Sie zupft an ihrem Hosenbund, und auch wenn das ein Scherz war, sieht es so aus, als hätte Chantal um ihre unglaublich schmale Taille herum tatsächlich ein kleines bisschen zugenommen. Wenigstens bin ich nicht die Einzige, die sich über die Feiertage hat gehen lassen. Deprimiert will ich nach einem weiteren Brownie greifen, beschließe dann aber, etwas für meine Figur zu tun, und nehme stattdessen Mango mit Schokolade. Mango ist so gut wie kalorienfrei, oder? Außerdem denke ich jetzt nur noch furchtbar schlanke Gedanken, jawohl.
«Ich glaube, das liegt an den tollen orientalischen Gerichten, mit denen Nadia mich immer bekocht», fährt Chantal fort. «Und wegen Lewis muss der Kühlschrank schließlichimmer bis oben hin mit Schokolade gefüllt sein. Na ja,
auch
wegen Lewis.»
«Wir sollten das neue Jahr mit dem Vorsatz beginnen, von nun an gesünder zu leben und besser auf uns Acht zu geben», sage ich frömmlerisch. «Ich habe keine Beziehung. Kein Geld. Und keinen Platz in meinen Klamotten. Dieses Jahr kann eigentlich nur noch besser werden.»
«Wir müssen irgendwas
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