Die schottische Rose
Sie hatte sich setzen müssen, so sehr hatten ihre Beine gezittert, und seitdem war sie Connor nicht mehr von der Seite gewichen.
Jetzt spürte sie ihre eigene Erschöpfung und nickte, als Nanette neben sie trat.
»Ja, du hast recht, liebe Freundin«, sagte sie und stand langsam auf. »Ich … wie spät ist es eigentlich?«
Dieses Mal verzichtete Nanette DeFleurilles auf eine schnippische Antwort. »Es ist schon später Nachmittag. Du hast seit gestern Mittag kaum etwas gegessen.« Vorwurfsvoll schaute sie auf das Tablett mit den Speisen auf einem kleinen Stuhl neben dem Bett, die allesamt unberührt waren. Sie hatte geahnt, dass zwischen Juliet und Connor etwas vorgefallen war, aber nachdem ihre Freundin ihr von der Nacht auf Mandrake Manor erzählt hatte, obwohl sie zweifellos einige der pikanteren und deshalb besonders interessanten Details ausließ, war ihr klar, dass dies keine hitzige Affäre war. Ihre Gebete waren erhört worden. Juliet de Germont hatte endlich den Mann gefunden, der ihr ebenbürtig war, und mehr als das: Nanette hatte an Juliets Verzweiflung gemerkt, wie sehr ihre Freundin diesen barbarischen Schotten liebte.
Ihr Blick glitt zu dem Bett, auf dem Connor lag. Seine Brust war bandagiert, und nur ein dünnes Laken bedeckte seine Hüften und seine Beine, damit das Fieber abklingen konnte. Barbarisch, vielleicht, dachte Nanette. Aber ein Bild von einem Mann. Wahrhaftig, es wäre eine Schande gewesen, wenn Juliet ihre Liebe verloren hätte, bevor sie sie leben konnte.
Und das umso mehr, als Nanette in den letzten Tagen selbst ganz ähnliche Gefühle erlebte. Buffon O’Dermick, der Connor vor der Höhle das Leben gerettet hatte, hatte sich zunächst ebenfalls nicht weit von seinem Freund entfernt. Nanette hatte ihm Essen und Bier gebracht und sich von der lustigen, charmanten und geistreichen Art des Iren aufmuntern lassen, der trotz aller Schicksalsschläge nie seinen Humor zu verlieren schien. Und der ihr, wenn sie nicht alles täuschte, auf eine überraschend förmliche, zurückhaltende Art, die im Gegensatz zu seinem sonst so vorlauten Mundwerk stand, den Hof machte.
Nanette fühlte sich geschmeichelt. Mehr als das, sie war begeistert. Aber sie wünschte sich, Buffon würde aufhören, ihr nur Liebeslieder vorzusingen und sie mit erotischen Gedichten zu verehren, sondern endlich etwas handgreiflichere Methoden der Minne anwenden. Doch leider konnte sie davon im Moment nur träumen. Denn kaum war klar geworden, dass Connor genesen würde, hatte sich der Ire reisefertig gemacht. Nur Sir Archibald gegenüber hatte er angedeutet, wohin er wollte, Nanette hatte er lediglich keck in die Wangen gekniffen, bevor er auf das Pferd stieg, das Sir Archibald ihm zur Verfügung gestellt hatte. »Bleibt mir gewogen, meine Muse, bis ich zurückkomme!«, hatte er gesagt. »Und ich komme zurück, das verspreche ich Euch. Aber ich habe etwas Dringendes zu erledigen. Ihr wisst ja, Lady Nanette«, er blinzelte ihr verschwörerisch und, wie ihr schien, etwas anzüglich zu, »ein Ire hat immer noch ein letztes Messer im Ärmel. Ich hoffe nur, dass die Klinge mittlerweile nicht stumpf geworden ist.« Mit diesen Worten war er davongeritten, und Nanette hatte ihm sehnsüchtig nachgesehen. Das war ein Mannsbild ganz nach ihrem Geschmack!
»Geh und leg dich in meinem Zimmer schlafen«, sagte Nanette jetzt zu ihrer Freundin. »Die Gefahr ist vorbei. Er wird wieder gesund. Und du willst doch sicher munter sein, wenn er wach wird, oder?«
Juliet nickte. Natürlich wollte sie das. Sie musste ihm so viel erklären. Sie …
»Wo ist er?«
Beim Klang der weiblichen Stimme zuckte Juliet zusammen und fuhr zur Tür herum.
»Wo ist Connor? Connor …!«
Juliet richtete sich trotz ihrer Müdigkeit hoch auf, als sie die Frau mit dem wunderschönen kastanienroten Haar erkannte, die in der Tür des Gemachs stand.
»Ist er … Wird er es überleben?«
Aylinn machte Anstalten, an das Bett zu stürzen, doch als sie Juliet sah, blieb sie stehen. Sie sah die andere Frau flehentlich an. »Bitte, sagt es mir. Ich muss es wissen!«
»Weil Ihr … weil Ihr ihn liebt?« Juliet hätte sich am liebsten auf die Lippen gebissen, aber die Worte waren ihr beinahe ohne ihr Zutun entschlüpft.
Aylinns Augen zogen sich einmal kurz zusammen, als sie Juliet musterte. Dann entspannte sich ihre Miene, sie senkte den Blick und faltete die Hände vor ihrem Schoß. Sie hatte die Reithandschuhe ausgezogen, und Juliet sah, dass ihre Knöchel
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