Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Schrift an der Wand

Die Schrift an der Wand

Titel: Die Schrift an der Wand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunnar Staalesen
Vom Netzwerk:
genaugenommen auch nichts an. Statt dessen
sagte ich: »Die Polizei hat ja einen Zeugen festgenommen.«
»Ja, Helge Hagevik, kann das stimmen?«
»Sicher. Ich habe noch ni … Kannten Sie ihn?«
»Nein.« Sie ließ den Blick durch das große Fenster wandern,
wo wir den westlichen Teil des Gulfjells sehen konnten, die
Neubaugebiete in Sandal und die etwas alteingesesseneren
Gebäude in Midttun und Øvsttun. »Aber ich fange an zu
begreifen, daß meine Tochter … Daß Torild ein Leben außerhalb ihres Zuhauses hatte, von dem ich nichts wußte.«
»Hat jemand etwas gesagt?«
Sie machte eine vage Kopfbewegung. »Etwas gesagt – worüber?«
»Nein, ich dachte nur – Dieser junge Mann, das war offenbar
jemand, den sie kannte?«
»Offenbar.« Sie seufzte. »Jetzt, hinterher, denkt man an all die
Male, wo man nicht da war, denkt, daß – vielleicht ist es deshalb
passiert – wenn du zu dem Handballspiel gegangen wärst, dich
für die Kuchenlotterie gemeldet hättest, mit im Elternbeirat
gewesen wärst, ja, dann wäre alles anders gekommen.«
»Auch, daß Sie sie im letzten Jahr nicht im Pfadfinderlager auf
Radøy besucht haben?«
Sie sah mich verständnislos an, und ein paar nachdenkliche
Falten traten auf ihre Stirn. »Radøy – Aber da war ich doch
krank?«
Sie legte die Hand auf den Bauch, als spürte sie die Nachwirkungen immer noch.
»Ja.«
Sie war jetzt wacher. »Wie in aller Welt kommen Sie jetzt
gerade darauf?«
»Ach, ich … Vergessen Sie’s.«
»Nein, ich verlange eine Antwort!« sagte sie scharf. »Dies ist
nicht der richtige Zeitpunkt, um den heißen Brei herumzureden.«
»Tut mir leid, es fiel mir nur so ein. Ich habe mit der Pfadfindergruppenleiterin gesprochen, mit Randi Søvik, und sie hat
einfach nur erwähnt, daß nur Ihr Mann und Randi Furubø sie
besucht haben.«
»Ja? Und mit Ihrem dreckigen Schnüfflerinstinkt haben Sie
sofort eine – eine Konfliktquelle gewittert?«
»Nein, nein, ich …«
Plötzlich lachte sie. Aber es war kein herzliches Lachen.
»Meine Güte, Sie sehen aus, als hätten Sie in die Hose gemacht!
Jetzt tut es mir wirklich leid, daß ich Sie engagiert habe. Wenn
das hier das Ergebnis ist, dann … Ich kann Ihnen versichern,
daß – selbst wenn Holger und Randi auf diesem Ausflug nach
Radøy etwas so Unpassendes getan hätten – was ich mir in
meinen wildesten Phantasien nicht vorstellen kann, die Chemie
zwischen den beiden hat nie so gestimmt –, dann kann ich Ihnen
jedenfalls versichern, daß das nicht gereicht hätte, um mich aus
der Fassung zu bringen. Die Gründe dafür, daß Holger und ich
auseinandergegangen sind, liegen viel tiefer …« Sie setzte den
Zeigefinger an die Stirn. »In unserer ganzen Art zu denken und
zu sein, verstehen Sie? Und das ist alles, was ich zu der Sache
zu sagen habe. Punkt!«
Sie stand auf. »Und nun, denke ich, ist es Zeit, daß Sie gehen.«
Ich kam auf die Beine und hob entschuldigend die Hände. »Sie
müssen mir glauben, daß es nicht meine Absicht war, zu …«
»Und Sie brauchen nicht wiederzukommen, Veum. Ich hoffe,
ich habe Sie zum allerletzten Mal gesehen, ist das klar?«
Ich spürte, wie meine Gesichtshaut durchsichtig wurde, und
der Versuch eines entschuldigenden Lächelns brachte kaum
mehr als eine groteske Grimasse hervor.
Im Flur draußen drehte ich mich ein letztes Mal zu ihr um.
»Dann wünsche ich Ihnen alles Gute, für die Zukunft …«
»Unser herzlichster Dank, im Namen der Familie«, sagte sie
sarkastisch und schloß demonstrativ die Tür hinter mir.
Als ich den kurzen Gartenweg entlangging, hörte ich ein
undefinierbares Geräusch hinter mir, als schlüge sie mit den
Händen gegen die Wand, stampfte auf den Boden, oder als
taumelte sie nur von Weinkrämpfen geschüttelt im Haus herum.
Dann knallte eine Tür, mit einer Kraft, die die ganze Außenwand erzittern ließ.
Deutlicher hätte sie es nicht unterstreichen können. Ein Abschied ist ein kleiner Tod, sagen die Franzosen. Aber hier wurde
ein regelrechter Mord begangen.
Als ich im Auto saß, hatte ich das Gefühl, daß etwas Endgültiges und Unabwendbares geschehen war. Ich hatte nur noch nicht
begriffen, was.
26
    Als ich im Büro ankam, versuchte ich noch einmal, Evy Berge
anzurufen. Aber es hieß, sie sei in einer Besprechung, und die
würde den Rest des Tages andauern.
    Ich machte mir eine Notiz, daß ich sie etwas später von zu
Hause aus privat anrufen wollte.
Mein Anrufbeantworter war tot. Niemand hatte versucht, mit
mir

Weitere Kostenlose Bücher