Die Schrift in Flammen
Jóska Kendy, als bäte er um sein Mitgefühl. Dieser aber kümmerte sich nicht um ihn, ebenso wenig wie Ádám Alvinczy, der, seine langen Beine wie Brotzopf ineinander geflochten und mit einer traurigen Zigarre im Mund, beinahe schon mitten in der Zigeunerkapelle saß. Gazsi stieß ihn beim Tanzen mehrmals an, doch Alvinczy scherte sich nicht um ihn, sondern starrte in das sich erhellende Fenster.
Der Morgen brach an. Der dichte Zigarettenqualm schwebte schon bläulich über den Köpfen. Das elektrische Licht indessen brannte weiter, sodass jedermann die Empfindung hatte, noch sei es Nacht. Pongrácz spielte nun wieder einen Csárdás. Nachdem er ihn beendet hatte, begann er einen Walzer. Er musizierte jetzt für den alten Dániel Kendy. Er tat es aus Erbarmen, denn der bejahrte Herr war schon längst nicht mehr imstande zu bezahlen. Der Primas der Kapelle wusste aber, dass er für dieses Musikstück schwärmte und ihn manchmal leise und bescheiden darum bat, es zu spielen. Es war der alte Godefroy-Walzer »Les Gardes de la Reine« aus den sechziger Jahren, aus der Zeit, da Kendy sich in der großen, glänzenden Welt bewegt hatte; in Paris nannte man ihn damals »le Comte de Candis«, und er war gern gesehen am Hof der Kaiserin Eugénie in Biarritz. Der Galan von einst blickte nun dankbar zum Primas auf. Doch beim fünften oder sechsten Takt geschah etwas, das die Musik unterbrach.
Pityu Kendy war aufgesprungen – soweit erkennbar, ohne jeden Grund. »Gottverdammt! … Gottverdammt!«, schrie er zweimal, tat einen Schritt zurück, und in jäher Wut versetzte er dem hohen, halbleeren Glas, das vor ihm stand, mit der Faust einen Schlag. Niemand verstand, was in ihn gefahren war. Vielleicht hatte er etwas dagegen, dass ein Walzer gespielt wurde, vielleicht war ihm der Gedanke durch den Sinn gegangen, dass ihn das unmäßige Trinken zugrunde richten würde, oder er hatte sich an Adrienne erinnert, deren Lieblingsmelodie ein Walzer war. All dies schien unklar und wurde auch niemals geklärt. Das Glas flog weg, geradewegs in Bálints Richtung. Bálint wich mit einem Sprung aus, der Champagner ergoss sich aber doch über seine Knie. Ein andermal hätte er vermutlich gelacht, jetzt aber schrie er Pityu zornig an: »Na! … Na! … Na! … Pass auf!«
Kein Zweifel, eine Drohung lag in seiner Stimme. Man sprang rundherum auf, auch der alte Dani. Hoch aufgerichtet stand er da und schwankte hin und her, wie vom Wind geschüttelt.
»Une affaire d… d… d’honneur! Une affaire … d… d’honneur«, rief er, mit den Armen fuchtelnd. Er meinte, die Beleidigung habe dem Walzer, seiner Vergangenheit und seinen Erinnerungen gegolten; er bezog den Fall auf sich. Doch Jóska Kendy, der hinter ihm stand, und Gazsi neben den Zigeunern ergriffen ihn rasch. Sie wussten schon, was folgen würde, wenn sich der alte Herr so jäh erhob. Darum fassten sie ihn von beiden Seiten unter und geleiteten ihn eilends zur Tür hinaus. Zwei Diener kamen herein, sie kehrten auf dem Parkett die Glassplitter zusammen und wischten den Fußboden.
Alle nahmen wieder ihre früheren Plätze ein. Abády rückte ein wenig zurück zur Wand. Keiner sprach. Die Zigeunermusik ertönte von neuem, und bei ihren Klängen blieben sie wohl noch eine halbe Stunde sitzen, aber der Zwischenfall hatte die Stimmung getrübt. Allmählich wurde es hell.
So brachen sie auf und kehrten, der eine in diese, der andere in jene Richtung, nach Hause zurück.
Abády besuchte das Casino an diesem Tag erst gegen Abend wieder. Als er den Großen Salon durchquerte, wo sich ältere Herren unterhielten, schien ihm, als verstummten sie im Augenblick, da er eintrat. In einem entfernten Winkel besprach sich Pityu mit Ádám Alvinczy und zwei anderen Männern. Abády bemerkte sie gar nicht. Er begab sich ins Spielzimmer. Auch jene, die dort bei Tarock- und Écarté-Partien saßen, sahen ihn irgendwie merkwürdig und fragend an, als erwarteten sie etwas von ihm. Doch niemand fragte etwas, solange er hinter den Leuten stand. Er ging in die Bibliothek, um Zeitungen zu lesen. Tihamér Abonyi, der sich von einem der Tarocktische erhoben hatte, kam ihm nach kurzer Weile nach.
»Bitt’ sehr«, sagte er, »was gedenkst du zu tun?«
»In welcher Angelegenheit?«, fragte Bálint.
»Na! Wegen des Falles letzte Nacht. Ich bin, bitt’ sehr, der Meinung, dass eigentlich du die beleidigte Partei bist, nicht Péter Kendy. Denn wenn man in Betracht zieht, dass er ein Glas in deine Richtung
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