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Die Schrift in Flammen

Titel: Die Schrift in Flammen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Miklós Bánffy
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doch Traurigkeit befiel ihn jetzt, als er die Treppe hinunterging. Traurigkeit ohne Grund. Vielleicht lag es am Anblick eines erniedrigten Menschen zuvor oder vielleicht hatte die triumphale Hurra- und Hetz-Stimmung der Menge auf ihn verstimmend gewirkt. Alle hatten sich benommen, als wäre das Ganze nicht mehr als ein gelungener Scherz.
    Nach einer Stunde war er am Bahnhof – zu früh, der Bahnsteig war menschenleer. Er betrat die Gaststätte. Auch hier fand er nur einen Gast vor: Aurel Timișan. Bálint trat auf ihn zu und setzte sich an seinen Tisch. »Reisen wir zusammen in Richtung Kocsárd?«, fragte er nach der üblichen Begrüßung. »Nein, mein Weg führt aufwärts. Die Züge kreuzen sich hier«, antwortete der alte Volkstribun, und dann war die Reihe an ihm zu fragen: »Wie zufrieden sind Sie mit dem heutigen Resultat, Herr Graf?« Etwas Spott und Freude schienen in seiner Stimme mitzuklingen. Bálint zuckte die Achseln und gab eine ausweichende Antwort.
    »Es wird aber nicht dabei bleiben, wie die Herren es wohl glauben. Derartiges bestärkt die Regierung in ihren Reformabsichten, und Seine Majestät, der Kaiser, wird, wie ich meine, das Geschehene nicht amüsant finden. Bei all dem bin ich natürlich nur ein einfacher rumänischer Provinzadvokat. Ich weiß gar nichts. Doch wenn ich so nachdenke …« Timișan spielte den Bescheidenen, doch seine großen, grünlich gelben Augen musterten Bálint humorvoll.
    »Sie meinen das Wahlrecht?«
    »Ja. Es würde den ganzen Widerstand der Komitate und das ganze bisherige System auf einen Schlag über den Haufen werfen.«
    »Das Parlament billigt keine Vorlage, die von dieser Regierung kommt, was sie auch immer enthält.«
    »Freilich, freilich …« Timișan nickte einige Male, und dann sagte er lächelnd unter seinem dicken, weißen Schnurrbart: »Vielleicht aber oktroyiert der Herrscher das allgemeine, geheime Wahlrecht? Wenn die Regierung auf dessen Grundlage Wahlen ausschriebe? Was hätten die Herren dann zu sagen? Oh, ich weiß das natürlich nicht, ich frage nur …«
    In Bálint wurde schlagartig eine Erinnerung wach. Hatte nicht auch Slawatas Brief eine Andeutung dieser Art enthalten? … Der alte Abgeordnete wusste offenkundig mehr. Er versuchte ihn zum Sprechen zu bringen. Lange bemühte er sich um ihn, aber Timișan sagte nichts weiter als bisher.
    Die Ankunftszeit der beiden Züge nahte. Der Zug von der oberen Region traf ein. Auf den Zug aus der Gegenrichtung wartete man noch. Bevor er ankam, überschwemmte eine Menschenmenge die Bahnstation: die Studenten und zahlreich die örtliche Jugend. Höchst begeistert und kampfeslustig traten sie auf, manch einer kam mit einem dicken Knüppel daher.
    »Die fahren jetzt alle?«, fragte Bálint den jungen Ákos Alvinczy, dem er begegnet war, als er sich zu seinem Wagen begab.
    »Nein, wir sind hergekommen, weil man uns benachrichtigt hat, Cseresnyés, dieser schurkische Landesverräter, befinde sich im Zug. Er reist nach Csík, um dort das Amt des Obergespans zu übernehmen. Wir holen ihn jetzt heraus, und die Jungen da werden ihm das Fell gerben.«
    Die Lokomotive von Kocsárd fuhr bereits dröhnend ein. Cseresnyés, elegant schwarz gekleidet, stand in einer Wagentür.
    »Da ist er! Kommt her! Da ist er!«, rief man von allen Seiten, und die Menge umschloss den Wagen. Einige sprangen bei der anderen Tür hinauf, um Cseresnyés den Fluchtweg abzuschneiden. Er dachte indessen nicht im Geringsten an Flucht. Unter Benützung der kurzen Stille, während der die vielen jungen Leute ihn anstarrten, und noch bevor sie ihn hätten ergreifen können, hob er mit seiner Donnerstimme zu einer Ansprache an. »Landsleute, Brüder!«, rief er. »Mich armen Mann aus der Provinz hat diese infame Regierung hinters Licht geführt. Sie hat mich, einen verwaisten Magyaren, zum Verrat benutzen wollen, mich, der ich mit jedem Tropfen meines Bluts im Dienst der Volksfreiheit stehe! Als ihren Knecht, als ihren Henker haben sie mich missbrauchen wollen! Mich, den schlichten Sohn des Volkes! So hört denn, welches Telegramm ich diesem hohen Herrn Kristóffy geschickt habe: ›Da ich erfahren habe, dass Sie die Absicht hatten, mich ohne meine Kenntnis zum Landesverrat zu benutzen, erkläre ich feierlich, dass ich diese niederträchtige Rolle, die Sie mir zugedacht haben, nicht annehme, und hiermit brandmarke ich Sie und gebe Sie vor dem Angesicht der Nation der Verachtung preis.‹«
    Die Menge hörte den ersten Worten überrascht zu. Beim

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