Die Schrift in Flammen
ja auch, ich brauche es Dir nicht zu erklären. Kaltblütig würde er töten und dazu vielleicht auch lachen. Da lässt sich nichts beginnen und noch weniger versuchen. Wohin also würde das alles führen? Einzig zum Tod. Und welchen Nutzen brächte Dir das?
Nur wir beide können voneinander scheiden, sonst gibt es keinen Weg. Nichts anderes steht offen.
Bitte verreise! Versuch jetzt gar nicht, mich zu sehen, jetzt nicht! Erst wenn wir uns beruhigt haben. Nicht zuvor! Ich könnte Dir, sollte ich Dich sehen, nicht Nein sagen. Siehst Du, ich gesteh es. Ich gäbe nach, Du kämest wieder zu mir und dann … dann wäre es mit mir aus, mir bliebe nur der Tod. Erbarme Dich meiner, ich habe Dir ja nichts getan. Am besten wäre, wenn Du mich ganz vergessen würdest. Wenn das unser endgültiger Abschied wäre. Versuch es. Dir fällt das leichter als mir. Ich hatte nur Dich. Mir ist es schwerer, und doch flehe ich Dich an, geh und trage so die Erinnerung an mich fort, indem Du weißt, dass ich Dich ewig liebe und dass Du mich um dieser Liebe willen nicht umgebracht hast.
Ich weiß, Du wirst es tun, und ich danke Dir für Dein Opfer, das vielleicht nicht kleiner ist als das meine, so denke ich an Dich in Dankbarkeit. Und ich küsse Deinen Mund, so wie Du es mich gelehrt hast, und ich liege in Deinen Armen, lausche all dem Schönen, das Du geschrieben hast, in Gedanken umarme ich Dich und immer und ewig … werde ich bei Dir sein … aber ich flehe Dich an, nein, bring mich nicht um …«
Bálint war zwei Tage später wieder in Portofino. Er hatte unterwegs nirgends haltgemacht. Die vor dem Abteilfenster vorbeisausenden Landschaften, das ständige Donnern des Zugs während zwei schlaflos verbrachter Nächte und zweier Tage, als ob das alles unwirklich und nur das Rattern und die Fiebervision seines Schmerzes gewesen wäre. Eine einzige Wirklichkeit gab es: Adriennes Gesicht, damals, dort, beim letzten Mal, als sie ihn im dunklen Zimmer von sich gestoßen hatte. Er kniete am Bettrand, Adrienne hatte sich aufgesetzt, er schloss sie in die Arme. Ihr Körper unter dem dünnen Nachthemd schmiegte sich eng an ihn. Ihre Augen, zuerst halb geschlossen, sodass hinter dem Flaum der Wimpern nur die Pupillen blinkten, waren während eines langen Kusses ganz nahe. Es war ein langer und tiefer, schier bis zur Erstickung dauernder Kuss auf ihre geschwungenen Lippen. Und da, unmittelbar vor ihm, öffneten sich ihre Augen nach und nach, eine wunderbar verwirrende Vision rückte in ihren Blick, als nehme sie, furchtbar erschrocken, etwas nie Gesehenes wahr …
Diesen erschrockenen Blick sah er auf der ganzen Reise vor sich, und er las unterwegs den Brief Adriennes wohl hundertmal. Und sosehr er litt, er sah doch keine andere Lösung als jene, für die er sich beim ersten Lesen entschieden hatte. Nein, etwas anderes ließ sich nicht tun: wortlos gehorchen, auf sie verzichten, verreisen, verschwinden. Sie hatte recht, die arme Addy, dies war der einzige Ausweg.
Blühende Kamelien- und Azaleenwälder, Oliven- und Orangenhaine empfingen ihn bei der Ankunft im kleinen Hotel am Meer. Das Wasser in der Bucht – wie mit Waschblau gefärbt. Glanz und Pracht überall, die aber jetzt schmerzte: die Gleichgültigkeit der Natur gegenüber all unserem Weh.
Gräfin Róza erwartete den Sohn in ihrem Zimmer. Sie war sehr verstimmt, weil er sie so lange, beinahe drei Wochen, hatte warten lassen und weil in seinem einzigen Brief von zu Hause nur Vorwände und ungeschickte Ausflüchte gestanden waren. Sie werde ihm die Kappe waschen, dachte sie, als sie sich auf seinen Empfang vorbereitete. Ihre leicht vorquellenden grauen Augen schauten unheilverkündend auf die Tür. Als sie aber aufging und der Sohn eintrat, war plötzlich alles verändert. Mit einem einzigen Blick erkannte sie die tiefe Sorgenfalte an der Stirn des jungen Mannes, seine von Leid gezeichnete Miene. Nie hatte sie ihren Sohn so gesehen. Ihre ganze Gekränktheit schwand dahin. Mütterliche Besorgnis überwältigte sie – rasch trippelte sie auf ihn zu, zog mit den kleinen Händen den Kopf des Sohns herab auf ihre Schulter, drückte ihn an sich, und in ihrer jähen Rührung konnte sie nur so viel sagen: »Mein kleiner, mein kleiner Junge …«
Auf der Rückreise machten sie für zwei bis drei Tage Station in Mailand, ebenso in Verona und in Venedig. Bei Museumsbesuchen, bei der Besichtigung von Palästen, Kirchen und Galerien, während der Mittag- und Abendessen in den Hotels beobachtete
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