Die Schuld
war. Der Bundesstaat war pleite und konnte es sich nicht mehr leisten, im nördlichen Virginia die von Bennett und seiner Clique geforderten neuen Straßen zu bauen. Aber es galt, dort wichtige Wählerstimmen zu holen. Die Regierung erwog ein Referendum über Verkaufssteuern, damit die Städte und Countys im Einzugsgebiet von Washington eigene Verkehrswege anlegen konnten. Noch mehr neue Straßen, noch mehr Eigentumswohnungen, Shopping Mails und Verkehr. Noch mehr Geld für die angeschlagene BvH Group.
»Irgendwas Politisches«, antwortete Barb van Horn. Wahrscheinlich hatte sie keinen blassen Schimmer, worüber ihr Mann mit dem Gouverneur debattierte. Vermutlich wusste sie nicht einmal, wie die BvHG-Aktie zurzeit stand. Sie kannte die Termine ihres Bridge Clubs und wusste, wie wenig Clay verdiente, aber der Rest war im Großen und Ganzen Bennetts Sache.
»Wie ist es denn bei dir heute gelaufen?«, fragte Rebecca, um eine politisch angehauchte Diskussion sofort im Keim zu ersticken. Clay hatte in Gesprächen mit ihren Eltern zwei- oder dreimal das Wort »Zersiedlung« gebraucht, was sofort zu einer angespannten Atmosphäre geführt hatte.
»Das Übliche«, antwortete Clay. »Und bei dir?«
»Morgen finden Anhörungen statt, sodass heute im Büro alles drunter und drüber ging.«
»Rebecca hat mir erzählt, man habe Ihnen einen neuen Mordfall übertragen«, sagte Barb.
»Ja, das stimmt.« Clay fragte sich, über welche anderen Aspekte seiner Arbeit als Pflichtverteidiger sie wohl noch gesprochen haben mochten. Die Weißweingläser der beiden waren schon mindestens halb leer. Offenbar war er mitten in eine Diskussion hineingeplatzt, wahrscheinlich über ihn. Oder reagierte er nur überempfindlich? Vielleicht.
»Wer ist denn Ihr Mandant?«, fragte Barb.
»Ein Junge von der Straße. Ein Schwarzer.«
»Und wen hat er getötet?«
»Einen anderen schwarzen Straßenjungen.«
Das schien sie etwas zu erleichtern. Schwarze gegen Schwarze. Wen kümmerte das schon, solange sie sich nur gegenseitig umbrachten? »Und, war er es?«
»Bis jetzt gilt die Unschuldsvermutung. So läuft das nun mal.«
»Mit anderen Worten, er war es.«
»Es scheint so.«
»Wie können Sie solche Leute verteidigen, wenn Sie wissen, dass sie schuldig sind? Wie kann man nur so hart arbeiten, um die da rauszuholen?«
Rebecca trank einen großen Schluck Wein und beschloss, die Sache auszusitzen. In den letzten Monaten war sie Clay immer seltener zur Seite gesprungen. Clay belastete der Gedanke, dass das Leben mit ihr einerseits zwar wunderbar, wegen ihrer Eltern andererseits aber auch ein Alptraum werden würde. Alpträume wogen schwerer.
»Unsere Verfassung garantiert jedem einen Rechtsanwalt und ein faires Gerichtsverfahren.« Clays herablassender Tonfall gab Rebeccas Mutter zu verstehen, dass das doch jeder Narr wissen musste. »Ich tue nur meinen Job.«
Barb rollte die Augen, mit denen sich kürzlich ein Schönheitschirurg befasst hatte, und blickte dann auf das achtzehnte Loch hinaus. Viele der Damen im Potomac Country Club hatten einen plastischen Chirurgen aufgesucht, dessen Spezialität offenbar der asiatische Look war. Die Haut an den Augenwinkeln wurde gestrafft. Nach der zweiten Sitzung war die Partie zwar faltenfrei, wirkte aber gespannt und völlig unnatürlich. Bei der guten alten Barb hatte man ohne Plan abgesaugt, geklammert und gespritzt, und das Resultat war alles andere als überzeugend.
Rebecca trank einen weiteren großen Schluck Weißwein. Als Clay und sie zum ersten Mal von ihren Eltern zum Essen in diesen Country Club eingeladen worden waren, hatte sie unter dem Tisch einen Schuh abgestreift und mit den Zehen sein Bein liebkost, als wollte sie sagen: »Lass uns hier abhauen und in die Kiste hüpfen.« Doch heute Abend war alles anders. Sie war eiskalt und wirkte irgendwie geistesabwesend. Clay wusste, dass sie nicht wegen der Anhörung beunruhigt war, die sie am nächsten Tag ertragen musste. Offensichtlich brodelte es unter der Oberfläche, und Clay fragte sich, ob zum Abendessen Themen auf den Tisch kommen würden, die über ihre Zukunft entschieden.
Jetzt stürmte Bennett an ihren Tisch, wobei er seine Verspätung mit etlichen vorgeschobenen Gründen entschuldigte. Er klopfte Clay jovial auf die Schulter, als wären sie alte Kameraden aus derselben Studentenverbindung. Dann küsste er seine Frau und seine Tochter auf beide Wangen.
»Wie geht es dem Gouverneur?«, fragte Barb so laut, dass es auch dem letzten
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