Die Schule der Nacht
Aufzeichnungen nebst der Dateien in seinem Computer keinerlei Anhaltspunkte auf riskante Nachforschungen ergeben. Um die Wahrheit zu sagen, konnten wir mit dem meisten, was wir gefunden haben, nicht wirklich etwas anfangen, aber ich möchte Sie trotzdem gern bitten, sich etwas anzuschauen. Vielleicht können Sie mir etwas dazu sagen.«
Er zog einen Laptop aus seiner Aktentasche und stellte ihn auf den Tisch. Während sie warteten, bis er hochgefahren war, dachte April über das nach, was Reece gerade gesagt hatte.
»Wenn Sie weder im Haus noch im Computer irgendetwas Interessantes gefunden haben, könnte das doch ein Hinweis darauf sein, dass jemand etwas mitgenommen hat, oder?«
»Sehr richtig. Trotzdem bleibt immer noch die Frage nach dem Motiv für den Mord«, antwortete Reece. »Wenn ich an Informationen kommen wollte, die ihr Vater über mich gesammelt haben könnte, würde ich während seiner Abwesenheit in das Haus eindringen, seinen Computer stehlen und es wie einen Einbruchsdiebstahl aussehen lassen.«
»Dann gehen Sie also davon aus, dass der Mord geplant war?«
»Ich möchte Sie wirklich nicht noch mehr beunruhigen, April, aber das scheint die einzige logische Schlussfolgerung zu sein. Aber uns fehlt nach wie vor das Motiv.«
Er zog den Laptop zu sich heran und öffnete ein paar Ordner. »Das sind alles Dateien, die wir vom Computer Ihres Vaters kopiert haben«, erklärte er und drehte den Laptop so, dass April auf den Bildschirm schauen konnte. »Hier links ist die Rohfassung eines Artikels, an dem Ihr Vater für die Zeitung arbeitete. Es geht darin um den Mord an Isabelle Davis, die Hintergründe des Falls und die Geschichte des Tatorts – also den Highgate-Friedhof. Rechts daneben ist eine Datei, die Ihr Vater ein paar Wochen zuvor angelegt hat, sie enthält ein Exposé für ein neues Buch, das er seinem Verleger geschickt hat. Es handelt von historischen Mordfällen in London mit speziellen Verweisen auf diese Gegend. Schauen Sie sich die Dateien bitte kurz an: Es gibt zwar nur oberflächliche Parallelen, aber es gibt sie.«
Nervös scrollte April sich durch die Texte. Inspector Reece hatte recht. Wenn man explizit nach den Parallelen suchte, waren sie deutlich zu erkennen, betrachtete man sie allerdings etwas genauer, stellten sich Zweifel ein. Auf den ersten Blick schien der Mord an Isabelle Davis ein rein willkürliches Verbrechen gewesen zu sein – eine junge Frau ist allein in der Stadt unterwegs und begegnet ihrem Mörder ganz zufällig. Verglich man den Fall jedoch mit den Recherchen ihres Vaters für sein Buch – insbesondere mit den Whitechapel-Morden von 1888 –, wirkte die Tat plötzlich gar nicht mehr so willkürlich: Zwischen den ersten von Jack the Ripper begangenen Morden schien es anfangs auch keine Verbindung gegeben zu haben, außer der Tatsache, dass sie alle in Whitechapel verübt worden waren, so wie die Morde an Alix Graves, Isabelle Davis und ihrem Vater alle in Highgate stattgefunden hatten. Damals wie heute war der Täter mit unglaublicher Brutalität vorgegangen und hatte keine offensichtlichen Spuren hinterlassen. Darüber hinaus hatte eines der Mordopfer geplant, ein Buch über Highgate, den Friedhof und historische Mordfälle zu schreiben. Wieder eine Parallele oder lediglich ein bedeutungsloser Zufall? Im Grunde waren es nichts weiter als Spekulationen, die auf sehr wackligen Füßen standen.
»Damit will ich keinesfalls behaupten, dass dieser Fall etwas mit Jack the Ripper oder – Gott bewahre – mit Vampiren oder Seuchen oder worüber Ihr Vater sonst noch geforscht hat, zu tun hat«, sagte Reece. »Trotzdem muss ich alle Möglichkeiten in Betracht ziehen, so absurd sie zunächst erscheinen. Meine Arbeit besteht hauptsächlich darin, nach Mustern zu suchen und zu hoffen, dass sich daraus irgendwann ein zusammenhängendes Bild ergibt. Gleichzeitig muss ich mich immer wieder fragen: Kann irgendetwas davon als mögliches Mordmotiv gedient haben?«
Aprils Blick blieb an einem Satz auf dem Bildschirm hängen, und sie runzelte die Stirn.
»Weil Sie gerade Jack the Ripper erwähnt haben…«, begann sie. »Könnte es nicht sein, dass wir es auch in diesem Fall mit einem Serienkiller zu tun haben? Ich meine, Sie haben ja selbst schon gesagt, dass es gewisse Parallelen gibt.«
»Stimmt«, seufzte Reece düster. »Aber Serienmörder sind in England extrem selten und gehen in der Regel nach dem immer gleichen Muster vor. Der Yorkshire Ripper, Fred West oder Harold
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