Die Schule der Nacht
Tode…«
April trat an den Sarg und legte ebenfalls eine Blume darauf nieder. »Ich liebe dich, Daddy«, wisperte sie.
»…und so legen wir seinen Leib in Gottes Acker, Erde zu Erde, Asche zu Asche, Staub zu Staub, in Erwartung der allgemeinen Auferstehung am Jüngsten Tage und des Lebens der zukünftigen Welt durch Jesus Christus unsern Herrn…«
Nacheinander traten nun die Trauergäste nach vorne, dann gab der Pfarrer den Trägern ein Zeichen, und sie hoben den Sarg in die Gruft, während die Gemeinde über das Schluchzen von Aprils Mutter hinweg das Vaterunser betete. »Und vergib uns unsere Schuld…« Der Pfarrer trat vor die Gruft, um die Türen zu schließen, »…sondern erlöse uns von dem Bösen…«, als plötzlich ein herzzerreißender Aufschrei alle Anwesenden verstummen ließ.
»Neeeiiin!« Aprils Mutter klammerte sich an eine der Flügeltüren. »Verlass mich nicht!«
Der Pfarrer legte ihr eine Hand auf die Schulter und sprach leise und beruhigend auf sie ein, als sie plötzlich das Bewusstsein zu verlieren schien und zu Boden sank. April eilte sofort zu ihr, doch ihr Großvater war schneller, zog seine Tochter wieder auf die Beine und stützte sie, woraufhin der Pfarrer so behutsam wie möglich die Zeremonie beendete.
»Gott ist es, der Frieden bringt. Er hat den großen Hirten der Schafe aus dem Reich der Toten heraufgeführt, Jesus, unseren Herrn, durch dessen Blut er den ewigen Bund in Kraft gesetzt hat. Möge seine Seele durch die Gnade Gottes in Frieden ruhen. Amen.«
Siebenundzwanzigstes Kapitel
C aro hatte sich die Nägel in einem neutralen hellen Rosaton lackiert. Es war nur eine winzige Geste, aber sie rührte April beinahe erneut zu Tränen.
»Das… das ist so… Danke!«, stammelte sie gerührt. Es war das erste Mal, dass sie Caro nicht mit schwarz lackierten Nägeln sah, die eigentlich fast schon ihr Markenzeichen waren – eine Art Statement, damit alle sofort sahen, mit wem sie es zu tun hatten. Aber heute hatte sie zu Ehren ihres Vaters darauf verzichtet.
Caro errötete leicht und zuckte hilflos mit den Schultern. »Ich dachte, es wäre angemessen, sozusagen als Zeichen meiner Achtung.« Sie senkte die Stimme. »Außerdem wollte ich nicht, dass irgendjemand von diesen seltsamen Leuten denkt, ich würde mich lustig machen wollen.«
Die »seltsamen Leute« waren Aprils Verwandte mütterlicherseits, die den Großteil der Trauergesellschaft ausmachten, da ihr Vater außer ihr und ihrer Mutter kaum noch Familie gehabt hatte. Wie fast alle Hamiltons – oder vielmehr Vladescus? – waren sie hochgewachsen und athletisch gebaut. April hatte immer angenommen, ihr Großvater spreche von einer Charaktereigenschaft, wenn er sagte, die Frauen aus ihrer Familie seien »stark«, aber jetzt verstand sie, dass er damit auch ihre Statur gemeint hatte. Gutes Aussehen schien ebenfalls in ihren Genen zu liegen, was April hoffen ließ, dass sich die edlen hohen Wangenknochen ihrer Mutter eines Tages doch noch bei ihr herausbilden würden. Charakterlich hoffte sie allerdings, ganz nach der Familie ihres Vaters zu schlagen. Verstohlen blickte sie zu den Constances, Mariellas und Georginas hinüber, die mit angemessen ernster Miene an ihrem Wein nippten. Natürlich verhielten sich alle sehr höflich und zuvorkommend und beteuerten immer wieder, wie leid es ihnen tue und was für ein liebenswürdiger Mensch ihr Vater gewesen sei, aber aus ihren Worten sprach keine Wärme, und die Blicke, mit denen sie sich umsahen, hatten etwas leicht Überhebliches. Vielleicht fragten sie sich auch, warum Silvia die Trauerfeier ausgerechnet in dem Haus abhalten musste, in dem ihr Mann so brutal ermordet worden war. April jedenfalls hatte sich diese Frage gestellt.
»Die würden sich keinen Zacken aus der Krone brechen, wenn sie ab und zu mal lächeln würden«, raunte Fiona. »Ich meine, es versteht sich von selbst, dass man bei so einem Anlass keine Schenkelklopferwitze reißen sollte, aber ist eine Trauerfeier nicht dazu da, dem Leben eines Menschen mit all seinen Sinnen zu gedenken?«
»Wahrscheinlich haben sie Angst, dass ihr Make-up bröckeln könnte«, sagte Caro.
April war froh, dass Fiona und Caro sich so gut verstanden, als würden sie sich schon seit Jahren kennen. Ihr Leben war in den vergangenen Wochen völlig auf den Kopf gestellt worden, und es war tröstlich zu wissen, dass sie sich auch in so schwierigen Zeiten auf ihre Freundinnen verlassen konnte. Bei diesem Gedanken stahl sich sogar ein
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