Die Schule der Nacht
einmal einen Bestseller zu schreiben. Einer seiner alten Studienfreunde war ein erfolgreicher Zeitungsredakteur und verfasste nebenbei populärwissenschaftliche Geschichtsbücher, die reißenden Absatz fanden. April war nicht entgangen, dass sich jedes Mal ein neidischer Unterton in die Stimme ihres Vaters mischte, wenn die Sprache auf ihn kam. Andererseits versuchte er vielleicht auch nur, Silvia das zu ermöglichen, was sie sich wünschte: ein schönes Haus, ein schnelles Auto und ein glamouröses Leben. Aber so wie sie ihre Mutter kannte, würde wahrscheinlich noch nicht einmal das sie glücklich machen.
»Woran arbeitest du denn im Moment?«, erkundigte sie sich.
Ihr Vater legte die beiden Bücher wieder auf den Tisch und rieb sich das stoppelige Kinn. »Ich muss meinem Verleger bis Freitag ein Exposé für ein neues Buch vorlegen. Meine Agentin glaubt, dass wir diesmal einen ordentlichen Vorschuss raushandeln können. Vielleicht schaffen wir es sogar, einen Sender dafür zu interessieren. Der Stoff würde sich sehr gut für eine Fernsehdokumentation eignen.«
»Hey, das klingt toll.« April lächelte. »Und worum geht es diesmal?«
»Ums Londoner East End. Ich hab dir in den Ferien davon erzählt. Du weißt schon, meine Theorie zu den Massengräbern der Pestopfer.«
April zog ratlos die Schultern hoch. »Sorry, Dad, aber so langsam komme ich bei dir nicht mehr mit. In der einen Minute geht es um ägyptische Kulte und in der nächsten um Menschenhandel.«
Er lachte. »Tut mir leid. Ich hatte keine Ahnung, wie langweilig ich geworden bin.«
»Nicht langweilig«, sagte April liebevoll. »Verwirrend.«
Ihr Vater zupfte ein Stückchen Käse von seinem Toast und schob es auf seinem Teller herum. »Genau genommen hat es etwas mit diesem Viertel zu tun. Wenn deine Mutter wüsste, woran ich arbeite, würde sie dich abends erst recht nicht mehr vor die Tür lassen.«
April spürte, wie ihr wieder kalt wurde, und blickte zum Fenster, an dem mittlerweile der Regen herunterlief.
»Was ist?«, fragte ihr Vater.
»Nichts, ich hab nur…«
»Was ist los, Schatz?«, fragte er und strich ihr über die Hand.
Ich habe nur dunkel glühende Augen in einem Schatten gesehen und in eine Blutlache gefasst, dachte sie, sprach es aber nicht laut aus.
»Vorhin in der Swain’s Lane hab ich mir eingebildet, ich hätte was gesehen. Aber keine Sorge – ich bin wegen des Mordes an Alix Graves bloß ein bisschen durch den Wind.«
»Du warst in der Swain’s Lane? Wann war das?«, fragte ihr Vater streng.
»Ach, nach der Schule, aber es fing schon an, dunkel zu werden«, sagte April hastig, schließlich konnte sie schlecht zugeben, dass sie gegen die Ausgangssperre ihrer Eltern verstoßen hatte. Ihr war nicht entgangen, dass sofort ein besorgter Ausdruck über das Gesicht ihres Vaters gehuscht war, als sie die Swain’s Lane erwähnt hatte.
»Warst du allein unterwegs? Was hast du dort gesehen?«, fragte er.
»Ich… ich weiß nicht genau, es war nur…«, stotterte sie, weil sie nicht wusste, ob sie es ihm erzählen sollte. Eigentlich hätte sie gern mit jemandem darüber gesprochen, und ihr Vater wäre wahrscheinlich der ideale Gesprächspartner gewesen. Ein Mann, der Bücher über den Schneemenschen schrieb, würde ihr mit Sicherheit glauben, wenn sie ihm erzählte, sie hätte einen… tja, was genau hatte sie eigentlich gesehen? Einen Geist? Einen Zombie? Nein, das konnte sie ihm nicht sagen. Es würde sich einfach zu lächerlich anhören.
»Ich hab einen verletzten Fuchs gesehen«, sagte sie schließlich lahm.
Ihr Vater zog amüsiert die Brauen hoch, wirkte gleichzeitig aber auch ein bisschen erleichtert. »Ich dachte schon, du hättest jemand gesehen, der dir irgendwie verdächtig vorkam.«
»Was meinst du mit verdächtig ?«
Er streichelte beruhigend ihre Hand. »Nichts, Schatz. Das war nur so dahergesagt. Highgate ist einer der sichersten Stadtteile Londons.«
»Alix Graves wäre da bestimmt anderer Meinung.«
»Stimmt. Aber der Mord an ihm scheint persönliche Hintergründe gehabt zu haben. Die Polizei vermutet, dass es dabei um Geld ging. Du weißt ja, dass er eine eigene Produktionsfirma hatte und jedes Jahr das Fullmoon Festival mitorganisiert hat. Es soll da irgendeinen zwielichtigen Investor gegeben haben. Ich bezweifle also, dass der Mord etwas mit dem Viertel hier zu tun hatte.«
Obwohl ihr Vater lächelte, nahm April ihm seine demonstrative Ungezwungenheit nicht ab. Sie spürte genau, dass er mehr
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