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Die Schule der Nackten

Die Schule der Nackten

Titel: Die Schule der Nackten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ernst Augustin
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können.»
    Die Kutte trug er jetzt also nicht, statt dessen diesen Kittel, der ihm ein mehr rustikales Aussehen gab - nicht gerade aus Sackleinwand geschneidert, aber doch nicht weit davon entfernt. Auch war sein Gang nicht mehr so schleudernd, als er uns jetzt in einen lang sich hinstreckenden Raum oder Saal gleich neben dem Eingang führte. Vielleicht nur auf größere Distanzen schleudernd. In dem Saal war alles Fensterglas von innen mit Farbe angepinselt worden, wohl aus Sichtgründen, es war aber eine rosarote Waschfarbe, und sie war streifig, so daß es aussah, als ob hier frisch geschlachtet worden wäre. Zudem begannen wir alle sofort zu schwitzen, weil der Raum völlig überheizt war. Fußboden rohes Holz, gehobelt, aber unbehandelt. Wände grobe Ziegelformation, teilweise verputzt und schwärzlich. Aber vielleicht sollte man hier schwitzen, im «Tempel des Tantra».
    Also, der Mann hielt zunächst eine Rede, stand zuversichtlich mit zusammengelegten Händen im Raum, um uns einen allerersten Einblick in das «Hier» und «Jetzt» zu geben, welches wir uns erarbeiten wollten. Im «Dasein».
    Offen gestanden, ich hatte nicht gedacht, daß er sprechen konnte, jetzt sprach er sogar mit lokalem Akzent, was war das, Freilassing? Das «Dasein» war bei ihm ein «Dosein», und wenn ich genau hinhörte, sogar ein «Dohseen» mit etwas Wiener Einschlag? Während wir alle auf dem unbehandelten Holzfußboden saßen und das Gehörte bedachten (bezahlt hatten wir ja noch nicht). Dabei unternahm ich es, Juliane, die sich sechs Plätze entfernt hingesetzt hatte, einen vorsichtigen Seitenblick zuzuschicken: Oh, sie war weit offen - mein Gott, wie konnte sie so offen sein -, ganz weit mit aufgerissenen Augen, das Jetzt und Hier schien seine Wirkung nicht zu verfehlen. Auch nicht die «Beziehungsarbeit am Sich und am Anderen», den «lebendigen Körper freizusetzen und wertzuschätzen» und «mit dem Herzen sehen zu lernen».
    Die Stimmlage - sie paßte eigentlich nicht zu der mächtigen Matte, hinter der sie hervordrang, eine modulierte, wohlplazierte Stimmlage, fast ein Singsang, «Im Frau-Sein und im… Mann-Sein die geschlechtliche Identität zu finden», während allenthalben Hohes stattfand, ein allseitig hohes Lächeln. Ich blickte um mich und wunderte mich. Diese Ansammlung von Leuten, die eine zweistündige unerfreuliche Anfahrt an einem grauen Tag auf ein Militärgelände hinter sich hatten, diesen Leuten ein hohes Lächeln zu entlocken - ich wollte gerecht sein -, das war erstklassige Arbeit. Anscheinend war ich der einzige, der kein Wort verstand.
    O du mein schönes Heimatland,
    wo man das Sauerkraut erfand.
    Wir lieben dich und preisen laut,
    Ehre, Freiheit, Sauerkraut.
    In diesem Augenblick wurde mir bewußt, daß er mich seit geraumer Zeit anblickte, der Mann hatte mich unter seinen Schafen erkannt.

    *

    Den Rest des Tages verbrachten wir damit, uns freizuschütteln. - Oh, ich vergaß, zuvor hatten wir noch unseren Obulus zu entrichten. Den meinen zahlte ich so ziemlich als letzter, während Juliane vorne in der Reihe stand, ich hörte sie glucksen, anscheinend war sie schon ganz in der Gruppe aufgegangen. Der schöne Mann, der große, etwas gebeugte «Hans» stand direkt hinter ihr, aber wenn ich mich nicht irrte, gluckste sie nach vorne, wo die populäre «Friede» stand. Der bärtige «Rudi» stand zwei Plätze hinter ihr und gluckste auch irgendwie, in einem Baß, den man bis zum Ende der Reihe hören konnte.
    Zum Kassieren hatten sie einen alten Schreibtisch im Gang gleich neben der Küche aufgestellt, und dort saß der Pradi neben einer Frau, die mir angst machte.
    An sich lächelte sie freundlich, hatte sogar zwei Sterne in den Augen, aber wie sie das Geld in den Kasten packte, in einen großen knallenden Eisenkasten, das war… ja, das war eigentlich gnadenlos. Keine Schecks. Ich konnte mir gut vorstellen, daß die Steuer in jedem Fall zu kurz kommen würde. Ihr Name war Sindra, sein Name, der Name des Meisters wurde auch verkündet, laßt mich raten: Pradhi Rama. Wie er wirklich hieß, wird man wahrscheinlich nie in Erfahrung bringen (unter welchem Namen er seine Steuern zahlte). Als ich an die Reihe kam, gab er kein Zeichen des Erkennens. Blickte nur kurz auf. Aber wir sollten ja alle noch unsere Namen bekommen, unsere eigentlichen wirklichen, unsere Seelennamen.
    Freischütteln.
    Draußen unter freiem Himmel, wo sich inzwischen ein beschauliches Licht über den Hof mit den drei Hühnern, die dort

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