Die Schule der Nackten
kann man mir also nicht vorwerfen. Doch legt sich jetzt - ich sehe es selbst - ein Schleier über meine Geschichte.
Der rote Nebel des Zorns.
Vielleicht, daß ich tatsächlich nicht ganz zurechnungsfähig bin, sofern es den Fortgang dieses mit wahrscheinlich völlig falschen Gefühlen beladenen Dramas angeht. Weiß ich doch noch nicht einmal, in welchem Zeitalter es in Wahrheit abläuft. Sitze da in meinem Schlafanzug im Halbkreis der Seminarteilnehmer und starre gebannt auf die drei splitternackten Gestalten. Ich sehe den Pradi mit seinem Genital, das gar nicht mehr so sehr hängt, ich sehe die ausgemergelte Assistentin als Beisitzerin und - im Zentrum - die unglaubliche Schönheit, die unerhörte Schönheit. Wie war sie denn da hingekommen!
Wie war sie denn, um Gottes willen, frage ich mich, in diese entsetzliche Lage geraten. Bezeichnet und ausgewählt für Ewigkeiten, die in Wahrheit nur Minuten dauern.
Der Pradi hatte es sich nicht nehmen lassen, sich ein Zeichen auf die Stirn zu malen, zwei Punkte und ein Komma. Hatte uns im Halbkreis versammelt, um lange und sorgfältig seine Wahl zu treffen. Hatte das Mädchen vor allen anderen ausgewählt, mit nach innen gedrehten Augen, so als ob tatsächlich eine Inspiration stattfände - ich wußte es aber besser. Die Chakras, hatte er gesagt, sind heilig, sie dienen dem Heil, der Heilung, wir werden sie erlernen und lernen, wo sie sich befinden, hatte er gesagt: Es sind sechs, sogar sieben Chakras, denn das siebte befindet sich über uns. «Im höheren Sein.»
Eben war sie noch ein menschliches Wesen, eine Frau, ein Mädchen, Juliane, und im nächsten Moment Träger unsäglicher Chakras. Halb liegend, halb sitzend mit gespreizten Beinen zeigte sie ihre Yoni, «oh, sie tut das nicht halbherzig, nein, spreizte sich in aller Deutlichkeit und Vehemenz», denn dieses war ja ihre Gruppenerfahrung, nicht wahr, die langerwünschte und von langer Hand angelegte Ekstase. Deren Zeuge wir nunmehr werden sollten.
Denn der Pradi hatte sich zu einer Einzeldarstellung entschlossen. Dazu «Heilende Klänge» von Shantiprem im Bauer Verlag (für den Fall, daß jemand interessiert ist) und ein feinzerstäubter Duft, YlangYlang, wegen der spirituellen Note.
Ein entsetzliches Bild. Der Pradi hockt rechts neben ihr und legt die Hand auf. Ja, dort. Um das Chakra zu mobilisieren, versteht sich. Die Hand ist ohne Bewegung, übt offensichtlich keinen Druck aus, jedenfalls ist kein Druck zu erkennen, und das braucht Zeit, zwölf Minuten. Währenddessen die Hand aufliegt. Um dann zum nächst höheren zu wandern, zum Nabelchakra, und nun kann man erkennen, wie er das macht: Er legt auf, zwölf Minuten lang, man sieht aber, daß die Hand sich langsam löst, in der Schwebe zittert, bis sie sich höher hinaufbegibt, und man sieht auch, was sie bewirkt: einen langsam sich ausbreitenden Rosenzustand. Und um das Entsetzen zu vertiefen, erscheint ein entsetzliches Mandala-Lächeln auf ihren Mündern, sowohl auf dem seinen als auch ihrem, ein Lächeln, das keines ist und nur bestätigt, was hier abläuft. Eine Übereinkunft, eine sexuelle Absprache, eine ganz üble hinterhältige Verzückung, die hier abläuft, mir können sie doch nichts vormachen.
«Es ist eine Leiter, die wir hinaufsteigen.»
So kann man es natürlich auch nennen.
«Stufe um Stufe», sagt der Pradi leise, «wir werden sie erlernen und lernen sie zu besteigen.»
Indem sie sich ganz gemein in die Augen geblickt hatten.
Hinauf zum Sonnengeflecht, hinauf zur Herzkammer, Stufe um Stufe, und ich wußte, daß ich ihn nun würde umbringen müssen, da die Übereinkunft selbst im Hocken zu erkennen war. Vielleicht, daß der Lingam, den er sich stehen ließ, sogar vorgesehen war und gar nicht persönlich gemeint. Aber hier saß ich, unfähig, mich zu erheben, in meinem Wahn, meinem Nebel. In meinem ungebleichten Schlabberzeug im Kreis der Seminarteilnehmer, und mußte zusehen, wie er sie anrührte - es war aber so, daß er damit sein eigenes Todesurteil sprach: Der Mann hatte einen fröhlichen Steifen.
Na fabelhaft.
Man stelle sich ein zwölfminütiges Zittern über der Kehle vor. Kehle eines Zickleins, einer weißen Taube, eines Schwanenvogels mit durchgebogenem Hals. Der abgeschnitten wird, damit der Geist sich löse. Und dann ein ebenso zwölfminütiges entsetzliches Zittern über dem Stirnchakra, von wo er davonfliegt. Ich schwöre, wir alle sahen ihn endgültig davonfliegen, zum Höheren, zum Höchsten, über den Scheitel hinaus,
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