Die Schule der Robinsons
an, in welcher er die Charge als erster Komiker bekleidete, wenn dieser europäische theatertechnische Ausdruck überhaupt auf einen chinesischen Künstler Anwendung finden kann. Diese sind nämlich, selbst wenn sie Scherze machen, so ernsthaft, daß der californische Romandichter Bret Harte sagen konnte, er habe nie einen chinesischen Schauspieler lachen sehen, ja er gesteht auch, niemals erkannt haben zu können, ob eines jener Theaterstücke, denen er mit beiwohnte, ein Trauerspiel oder eine gewöhnliche Posse gewesen sei.
Kurz, Seng-Vou war ein Komiker. Reich an Erfolgen, vielleicht mehr als an baarem Gelde, hatte er nach Schluß der Saison sein Vaterland nicht erst als Leichnam wiedersehen wollen. 2 So war er auf gut Glück in den unteren Raum des »Dream« eingeschlichen. Hoffte er, mit hinreichendem Mundvorrath versehen, diese Ueberfahrt von einigen Wochen incognito zu machen und sich nachher an irgend einem Punkt der chinesischen Küste ungesehen wegzustehlen?
Wahrscheinlich, wenigstens deutete Alles darauf hin.
Godfrey hatte gewiß recht daran gethan, zu Gunsten des Eindringlings zu interveniren, und Capitän Turcotte, der sich wohl erzürnter stellte, als er im Grunde war, verzichtete darauf, Seng-Vou über Bord werfen und sich in den Wogen des Stillen Oceans allein durchhelfen zu lassen.
Nach seinem Versteck im Raum kehrte Seng-Vou zwar nicht zurück, aber er belästigte deshalb an Bord doch so gut wie Niemand. Phlegmatisch steif und wenig mittheilsam, ging er den Matrosen, welche ihm stets etwas anzuhaben suchten, sorgfältig aus dem Wege und ernährte sich von seinen eigenen Vorräthen. Uebrigens war er so mager, daß sein hinzugekommenes Eigengewicht die Fahrtunkosten des »Dream« nicht merklich steigern konnte. Wenn Seng-Vou auch umsonst mitfuhr, so konnte seine Reise doch der Casse William W. Kolderup’s nicht einen Cent Unkosten verursachen.
Seine Anwesenheit an Bord veranlaßte doch den Capitän Turcotte zu einer Reflexion, deren eigentlichen Sinn außer dem zweiten Officier gewiß Niemand begriff.
»Er wird uns, wenn’s darauf ankommt, doch geniren, dieser verdammte Chinese!… Doch… desto schlimmer für ihn!
– Warum hat er sich betrügerischer Weise auf dem »Dream« eingeschifft! antwortete der zweite Officier.
– Um so billig nach Shangai zu gelangen!… Zum Kukuck mit John und allen Söhnen John’s!«
Fußnoten
1 Ein Spitzname, den die Amerikaner den Chinesen beilegen.
2 Es ist unter den Chinesen Sitte, sich nur in ihrem Vaterlande begraben zu lassen, und es giebt besondere Schiffe, welche ausschließlich dem Leichentransporte dienen.
Siebentes Capitel.
Worin man sehen wird, daß Kolderup vielleicht nicht Unrecht daran gethan hatte, sein Schiff zu versichern.
Im Laufe der folgenden Tage, am 13., 14. und 15. Juni, fiel das Barometer langsam und stetig, ohne dazwischen wieder anzusteigen, das Vorzeichen einer Tendenz, sich unter »Veränderlich« – zwischen »Regen« und »Sturm« – zu halten. Die Brise frischte kräftig auf und lief nach Südwesten um. Damit bekam der »Dream« Gegenwind und mußte nun gegen die groben Wellen ankämpfen, welche ihn von vorn faßten. Die Segel wurden also gerefft und nur die Schraube arbeitete weiter, aber unter mäßigem Dampfdruck, um jede Beschädigung der Maschine zu vermeiden.
Godfrey ertrug die heftigen Schwankungen des Schiffes ohne Beschwerden, so daß ihm dabei niemals die gute Laune ausging; der wackere junge Mann liebte offenbar das Meer.
Tartelett dagegen liebte es bestimmt nicht, und dieses zahlte ihm seinen Widerwillen mit Zinsen heim. Man mußte den unglücklichen Lehrer des Anstandes und der Haltung sehen, wie er sich selbst nicht mehr zu halten vermochte, den berühmten Tanzlehrer, wie er hier gegen alle Regeln der Kunst tanzte. Bei den Stößen, welche den Dampfer in seinen Grundfesten erschütterten, in der Cabine auszuhalten, war ihm gleichfalls unmöglich.
»Luft! Luft!« seufzte er.
So befand er sich stets auf Deck. Bei jedem Rollen des Schiffes schwankte er von einem Bord zum anderen, bei jedem Schlingern wurde er nach dem Vorderdeck geworfen, nur um sofort wieder nach dem Hinterdeck geschleudert zu werden. Er stützte sich auf das Barkholz, klammerte sich an das Tauwerk und gerieth in Stellungen, welche die moderne Choreographie ohne Bedenken verdammt hätte. Ach, daß er sich nicht in die Luft erheben konnte, um den heimtückischen Bewegungen dieser unsicheren Planken zu entfliehen! Ein bejahrter
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