Die schwarze Hand des Todes
eine Gestalt mit weißem Bart und rotem Mantel, die ihnen den Kopf tätschelte und bunt verpackte Geschenke hinhielt. Die Unterschrift lautete »Der Weinamann.«
»Ist es nicht ein bisschen früh für Weihnachten? Bis dahin sind es doch noch gute sechs Wochen.«
Helen lachte. »Stimmt, manchmal bringen sie alles durcheinander.«
Aber irgendwas stimmte nicht mit diesem Weihnachtsmann. Eigentlich sah er aus wie einer von den Billignikoläusen, die früher im Advent mit selbst geschneiderten Kostümen und ständig rutschenden Wattebärten durch die Läden von Edendale tourten und die Kinder zu Tode erschreckten, wenn sie ihnen zu nahe kamen. Aber das durfte sich heutzutage nicht einmal mehr der Weihnachtsmann erlauben. »Komm, Kleine, setz dich auf meinen Schoß«, solche Sprüche waren mittlerweile tabu.
Cooper dachte an Warren Leachs Söhne und ihre instinktive Abwehrhaltung gegenüber Fremden. Was mochten sie gesehen oder erlebt haben, das ihnen die Unschuld geraubt und Misstrauen gegen alle Besucher eingeimpft hatte?
Er hielt die Zeichnung noch in der Hand. Die rote Jacke stimmte. Aber die Hosen nicht. Jedes Kind wusste, dass der Weihnachtsmann ganz in Rot gekleidet war. Carly jedoch hatte mitten im Malen den Stift gewechselt – und kein normales sechsjähriges Kind hätte absichtslos zu dieser Farbe gegriffen. Es fehlte ihr an Knalligkeit und Dramatik, sie war zu langweilig, zu erwachsen irgendwie.
Ganz richtig, Weihnachtsmänner gingen von Kopf bis Fuß in Rot. Aber dieser Weihnachtsmann trug graue Hosen.
Das Haus lag tief unterhalb der Straße in den Hang hineingebaut. Zwischen nackten Mauerschächten und verrammelten Kellerfenstern führte eine steile, schmale Steintreppe zum Eingang hinunter, auf deren Stufen Holzbottiche und Töpfe mit verwelkten Gartenwicken standen. Schwarz vermoderte, schleimige Pflanzenreste deckten die Stufen, in Erwartung eines unachtsamen Briefträgers, der mit Karacho bis nach unten schlittern würde. Auf dem Fensterbrett im Erdgeschoss blühte eine einsame rote Pelargonie vor dem grauen Vorhang.
Owen Fox kam wie ein Erdarbeiter aus seinem tiefen Loch zum Vorschein. Offenbar hatte er gerade ein Nickerchen gehalten; er sah verschlafen aus, war nur halb angezogen, und das Haar stand ihm wirr vom Kopf ab. Beim Anblick von Diane Fry zog er den Bademantel enger um die Brust.
»Kann ich Ihnen behilflich sein?«, fragte er. »Sie brauchen noch einmal meine Ortskenntnisse, nehme ich an.«
Er lehnte die Tür hinter sich an, als wollte er Abstand von dem Leben nehmen, das dahinter lag. Wie er da in T-Shirt, Bademantel und Pantoffeln stand, machte er eine lächerliche Figur.
»Geht es um Cal und Stride?«, fragte Owen. »Ich bin gleich bei Ihnen. Kein Problem.«
Dann sah er Hitchens oben an der Straße stehen. Er starrte zu ihm hinauf, als läge zwischen ihnen das letzte, unüberwindliche Stück bis zum Gipfel des Mount Everest. Owen Fox stand als winzige, verlorene Figur am Grund einer finsteren Grube. Fernab der Welt und gottverlassen. Die Sonnenstrahlen, die seine Topfpflanzen beschienen, reichten nicht bis zur Schwelle.
»Lassen Sie die Tür ruhig offen«, sagte Hitchens. »Wir haben einen Hausdurchsuchungsbefehl.
28
«That was the river, this is the sea.«
Ben Cooper drehte die Musik auf. Laut Klappentext stammte die Waterboys-CD aus dem Jahr 1985. Fast alle Aufnahmen, die er besaß, waren zwölf bis fünfzehn Jahre alt: eben das, was ihm als Teenager gefallen hatte. Entweder hatte sich sein Geschmack seit seinem Eintritt in den Polizeidienst nicht mehr geändert, oder ihm war schlicht keine Zeit geblieben, neue Musikrichtungen zu entdecken.
Cooper musterte seine Bücher. Der letzte Neuzugang, den er zu lesen versucht hatte, war Captain Corelli’s Mandolin, 1994 erschienen und obendrein ein Geschenk. Offenbar tat er neben seiner Arbeit nicht viel anderes, als mit Kollegen Bier zu trinken, für sich allein Sport zu treiben und Wanderungen zu unternehmen. Immerhin hatte er ein paar Freunde, die keine Polizisten waren. Er musste sich unbedingt mal wieder bei Oscar und Rakki melden. Ihre letzte Bergtour lag Monate zurück.
Die CD mit der Konzertaufnahme des Polizeichors von Derbyshire war sechs Jahre alt. Die Hülle zierte ein Foto der Sänger; in der hinteren Reihe bei den Tenören stand er selbst, damals noch in der Uniform eines Constables. Er verglich das Foto mit seinem Spiegelbild. Sein Haar war hinten mittlerweile etwas kürzer, sein Gesicht ein wenig voller. Aber
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