Die schwarze Hand des Todes
Vorderseiten zierten religiöse Symbole – Kruzifixe und Buntglasfenster mit der Jungfrau Maria. Das Übliche für Trauerkarten und häufig ohne tiefere Bedeutung. Aber Mrs Fox war, laut Owen, gläubig gewesen. Er hatte mit ihr den Dorfgottesdienst besucht, bis sie dauerhaft das Bett hüten musste. Und von ihrem Schlafzimmerfenster aus immerhin noch den Kirchturm sehen konnte.
Der Gemeindefriedhof von Cargreave war fest in der Hand alteingesessener Namen: Gregory, Twigg und Woodward, Pidcock, Rowland und Marsden. Daneben gab es jede Menge Shimwells und Bradleys sowie einen gewissen Cornelius Roper – ein Vorfahre von Mark? Ein frisch polierter Stein zierte eine der letzten freien Grabstellen im hintersten Eck. Annie Fox, neunzig Jahre, tief betrauert von ihrem Sohn Owen.
Von weitem schon sah Ben Cooper im Dämmerlicht die rote Jacke des Rangers vom Portal her leuchten. Owen Fox wirkte zwergenhaft neben der fast drei Meter hohen Schieferplatte, auf der die Zehn Gebote eingemeißelt waren. Cooper setzte sich neben ihn auf einen schmalen Steinsims.
»Sie ist zu, Ben«, sagte Owen. »Die Kirche ist zu.«
»Zu viel Klau und Vandalismus, schätze ich mal.«
»Ich dachte, ich würde die Kirche nicht mehr brauchen, nachdem sie nun nicht mehr da ist«, sagte Owen.
»Ihre Mutter?«
»Wenn es ihr gut genug ging, sind wir sonntags immer zur Kirche gegangen. Nach ihrem Tod dachte ich, das bräuchte ich nun nicht mehr. Aber heute war mir plötzlich danach, und jetzt ist die Kirche zu.«
Stare flatterten zu Dutzenden von einer Friedhofseibe zur anderen und verhandelten aufgeregt über die Aufteilung der Schlafplätze für den Abend.
»Und wenn Sie es mal eine Weile zu Hause versuchen, Owen?«, sagte Cooper. »Fernsehen, ein Buch lesen, den Rasen mähen, die Katzen füttern. Egal. Hauptsache, Sie sind zu Hause.«
»Ich schaff’s nicht.« Owen blickte finster über den Friedhof bis zum Hügel jenseits des Tals. »Nicht, nachdem ich weiß, dass ihr alles durchstöbert und das Innerste nach außen gekehrt habt. Das ist nicht mehr mein Zuhause. Da bin ich bloß noch ein Perverser, ein Gestörter, der letzte Dreck. Draußen ist es was völlig anderes.«
Cooper studierte die Gemeindeanzeigen in dem Glaskasten, der neben der Schieferplatte an der Wand hing.
»Hier steht, dass man den Schlüssel beim Kirchenvorstand holen kann. Rectory Lane 2, das weiße Haus gegenüber vom Friedhof.«
»Ja«, sagte Owen.
»Es ist gleich da drüben, sehen Sie.«
»Ich weiß.«
An den Fenstern hingen Gardinen, und aus einem der hohen Schornsteine stieg Rauch empor. Offenbar war jemand zu Hause.
»In dem Dorf hier sind Kirchen- und Gemeinderatsvorstand ein und dieselbe Person«, sagte Owen. »Ich bin bei Ms Salt bestens bekannt.«
Dann wechselte Owen das Thema. Vielleicht hatte er ohnehin die ganze Zeit nur und ausschließlich daran gedacht. Es brach aus ihm heraus, als hätte Cooper sich mitten in einem Gespräch dazugeschaltet.
»Ich habe Mum so viele Jahre lang betreut, wissen Sie«, sagte Owen. »Wir waren mehr als Mutter und Sohn. Wir waren ein Team. Verstehen Sie, was ich meine? In gewisser Weise war es wie eine Ehe. Ich habe mich um sie gekümmert und sie sich um mich – jedenfalls wollte sie das gern glauben. Wie oft hat sie sich aus dem Bett geschleppt, um mir etwas zu kochen, wenn ich abends heimkam. Da saß sie dann in der Küche auf dem Fußboden, neben sich die ausgekippte Besteckschublade und einen Haufen ungewaschener Kartoffeln. Und entschuldigte sich, dass sie mit dem Abendessen nicht rechtzeitig fertig geworden war.«
Ihm brach die Stimme. Cooper wandte den Blick ab und wartete, bis Owen sich gefangen hatte. Er fühlte sich wie ein Voyeur, dem unvermittelt mehr an persönlichen und intimen Einblicken zuteil wurde als erwartet.
»Geistig war sie ganz auf der Höhe, aber ihr Körper spielte schon lange nicht mehr mit«, sagte Owen. »Das ist immer das Schlimmste, finden Sie nicht? Sie wusste haargenau, was mit ihr los war. Eine Tortur ohne Ende.«
»Wie lange haben Sie beide so zusammengelebt?«
»Dreißig Jahre.«
»Dreißig Jahre? Owen, da waren Sie doch erst –«
»Seit meinem dreiundzwanzigsten Lebensjahr.«
»Dann kann man allerdings von einer Ehe sprechen. Bloß dass die wenigsten Paare heutzutage noch so lange zusammenbleiben.«
Owen nickte. »Wir konnten nicht ohne einander. Das hat es ausgemacht. Man bleibt so lange zusammen, wie man einander braucht. Und bei den meisten Paaren, die ich kenne, ist
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