Die schwarze Hand des Todes
Fry und ihre Schwester ins Heim gekommen waren, weil ihre Eltern sie sexuell missbraucht hatten. Die Schwester war später fortgelaufen und heroinsüchtig geworden. Warum Fry ihm das anvertraut hatte, war Cooper ein Rätsel, wie so vieles an ihr.
Schamrot vor Verlegenheit machte er sich auf eine Abreibung gefasst. Doch Fry hatte sich rasch wieder unter Kontrolle.
»Ist dir deine Karriere denn überhaupt nichts mehr wert, Ben? Wenn du so weitermachst, setzt du alles aufs Spiel, ist dir das nicht klar?« Sie ließ ihm keine Zeit zu antworten. »Der Knackpunkt ist doch der: Du bist immer noch nicht darüber hinweg, dass ich den Posten gekriegt habe. Du hast dir eingebildet, du hättest ein heiliges Anrecht darauf, bloß weil du schon seit Ewigkeiten hier Dienst schiebst und so ein toller Hecht bist oder was weiß ich. Und jetzt hast du dich in eine selbst zurechtgebastelte Vorstellung von Gerechtigkeit verrannt und willst dich dafür opfern, nur um zu beweisen, dass der Job dir total egal ist und du eigentlich sowieso nie scharf darauf warst. Mach nur so weiter, spiel schön den Märtyrer.«
Sie knallte die Tür hinter sich zu. Cooper griff sich Aktennotizen aus der Ablage und las, ohne zu registrieren, was in ihnen stand. Er machte sich Anmerkungen zu einem Tätlichkeitsdelikt, das zur Gerichtsverhandlung anstand. Er durchforstete seine Schubladen und fand eine halbe Packung Pfefferminz. Aß ein Pfefferminz. Und noch eins. Und fragte sich dann, was Owen Fox jetzt wohl machte, in seinem Häuschen in Cargreave.
Owens Lebensführung hatte bei näherer Untersuchung Makel offenbart. Auf wen traf das nicht zu? Owen sei ein feiner Kerl, hatte er von anderen gehört, aber was hieß das schon? Dass er nie einen Fehler begangen hatte? Wenn man sie ließ, würde die Presse Owen als Sexmonster anprangern. Aber er war kein Tier – nur ein Opfer von Umständen, die ihn hatten schwach werden lassen. Eine Schwäche, die das Übel in der Welt vermehrte, wohl wahr. Aber es gab so viele Übel, unzählige, selbst in Edendale. Seine Schwäche machte Owen Fox noch lange nicht zum Monster; er war ganz einfach ein Mensch, und damit fehlbar.
Cooper hatte bei Cal und Stride ebenso versagt wie bei Leach – er hatte ihn nicht vor dem Abgrund bewahren können, in den seine ganze Familie mit hineingerissen wurde. Vielleicht war es noch nicht zu spät, um wenigstens Owen Fox beizustehen. Aber das hatte seinen Preis. Er wusste, dass er sich seit längerem auf dünnem Eis bewegte; seine Loyalität stand in Zweifel, und zwar nicht nur bei Diane Fry. Wenn er überleben wollte, musste er Owen Fox seinem Schicksal überlassen. Nach allem, was bislang vorgefallen war, hatten ihn genügend Leute im Visier, und es war einfach Wahnsinn, sich direkt in die Schusslinie zu stellen. Purer Wahnsinn.
33
Auf sein Klingeln tat sich nichts. Am Fuß der Steinstufen, die zu dem Cottage in Cargreave hinunterführten, trat er auf knirschende Tonscherben und erdverklumptes Wurzelwerk. Die hübschen Blumentöpfe, die beim letzten Besuch noch die Treppe gesäumt hatten, waren zerschlagen und die Pflanzen herausgerissen worden. Zudem hatte sich, dem Gestank nach zu urteilen, das gesamte Dorf auf der untersten Stufe erleichtert, und zwar in jeder Hinsicht.
Zur Straßenseite hin waren alle Vorhänge zugezogen. Ein paar Meter weiter fand Cooper einen Durchgang, von dem wiederum Stufen zu den tiefer liegenden Toren der angrenzenden Gärten führten. Er überkletterte eine Mauer und lief durch freies Feld bis zu einer wild wuchernden Weißdornhecke, die Owens Grundstück nach hinten begrenzte. Aus einem Fenster im ersten Stock sah eine Nachbarin ihm zu, bis er sich durch das Gestrüpp gezwängt hatte.
Cooper spähte durch die Fenster. Er erinnerte sich an das düstere kleine Vorderzimmer, in dem Owens Computer zwischen alten Zeitungen und Zeitschriften gestanden hatte. Er hieb gegen die Hintertür, klopfte an die Fenster und wartete, ob sich drinnen etwas rührte. Schließlich rief er laut nach Owen und kam sich dabei dämlich vor. Keine Antwort. Wo konnte er noch sein? Den Landrover hatte er abgeben müssen, als er vom Dienst suspendiert wurde, und seinen Kummer in der Kneipe zu ertränken, das sah Owen nicht ähnlich. Er würde eher einen stillen Ort aufsuchen, an dem er in Ruhe nachdenken konnte.
Cooper blickte zum Schlafzimmerfenster hinauf. Die Beileidskarten in Weiß und Silber standen immer noch ordentlich aufgereiht da und verblichen in der Sonne. Die
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