Die schwarze Hand des Todes
Geistesenergien von ihm fern hält, dann funktioniert es vermutlich auch.«
Cooper ließ sich diese Bemerkung durch den Kopf gehen. Einen nützlicheren Rat hätte vermutlich auch ein Psychiater nicht geben können.
»Wie gut kennen Sie Stride wirklich?«
»Er ist mein Bruder.«
»Sie haben ihn doch erst vor ein paar Monaten kennen gelernt, bei der Sommersonnenwende.«
»Das spielt keine Rolle. Er ist mein Bruder.«
»Ich möchte wetten, dass Sie überhaupt nichts über ihn wissen. Woher kommt er zum Beispiel?«
»Was für eine Rolle spielt das? Wen interessiert das, was er in einem anderen Leben gemacht hat oder woher er kommt? Das hier ist unser Leben. Es ist das Einzige, was zählt.«
»Gehen Sie manchmal rauf ins Moor?«, fragte Cooper.
»Natürlich.«
»Zu dem Steinkreis?«
»Stride redet gern mit den Jungfrauen. Das schadet nicht. Er tut keiner Fliege was zuleide.«
»Begleiten Sie ihn? Oder geht er allein?«
Cal presste die Lippen aufeinander. »Ich glaube, mit Ihnen habe ich jetzt genug geredet.«
»Läuft er nachts allein umher?«
»Sie sind auch nicht besser als alle anderen. Sie schleichen sich bei uns ein und denken, Sie können irgendwas Belastendes über uns herausfinden. Lassen Sie Stride gefälligst in Ruhe. Der tut keinem mehr was.«
»Keinem mehr?«, hakte Cooper behutsam nach.
Aber Cal machte auf dem Absatz kehrt und stapfte grimmig zum VW-Bus zurück. Cooper sah auf die Uhr. Er war schon viel zu lange im Steinbruch. Er hatte noch einen anderen Termin, und er würde Ärger bekommen, wenn er sich verspätete.
Wie fast alles in Edendale lag auch der Friedhof an einem Berghang. Unten grenzte er an eine Neubausiedlung. Unter den Buchen stöberte ein Eichhörnchen im Laub.
Sergeant Joe Cooper lag im neueren Teil des Friedhofs. Er war vor vier oder fünf Jahren eröffnet worden, nachdem der alte voll belegt war. Auf dem neuen Friedhof gab es keine erkennbaren Gräber, nur Reihen von Grabsteinen im akkurat gestutzten Gras. Auch bei den Toten musste alles seine Ordnung haben. Diese Grabsteine würden sich niemals lockern und umkippen, Sie würden sich im Alter nie mit Moos bedecken. Fast wie Soldaten standen sie in Reih und Glied, ein Bild bürgerlicher Perfektion. Mit seinem gewaltsamen Tod hatte Sergeant Cooper die Ordnung der Stadt genug gestört. Der Straßenreinigung gelang es erst nach Wochen, den Blutfleck zu beseitigen, den er auf dem Kopfsteinpflaster hinterlassen hatte, und der gute Ruf Edendales war durch die Geschichte monatelang beschädigt gewesen. Doch nun war die Ordnung wieder hergestellt.
Hin und wieder stand ein Marmeladenglas mit Wiesenblumen oder Petunien vor Sergeant Coopers Grabstein. Seine Familie wusste nicht, wer sie ihm hinstellte.
Auf der Fahrt zum Friedhof hatten die Brüder kein Wort miteinander gewechselt. Nachdem sie ausgestiegen waren, hielt Ben das Schweigen nicht mehr aus.
»Wir waren gestern noch mal bei Warren Leach«, sagte er, während sie zum Grab ihres Vaters gingen. »Ist dir nicht in der Zwischenzeit vielleicht doch etwas zu Ohren gekommen?«
Matt antwortete nicht. Er drückte die Schultern durch und beschleunigte den Schritt.
»Irgendjemand muss doch etwas über ihn wissen, Matt.«
»Bestimmt.«
Aber Matt klang so abweisend, dass Ben es mit dem Thema fürs Erste gut sein ließ. Als sie schließlich vor dem Grab standen, war das Schweigen noch unerträglicher geworden. Jedes Mal, wenn sie hierher kamen, war die Gräberreihe ein kleines Stück länger geworden, als ob ihr Vater immer mehr nach hinten, in die Vergangenheit weggedrückt würde.
Ben und Matt legten ihre Blumen nieder und setzten sich, mit Blick auf den Grabstein, auf eine Bank vor einer hohen Weißdornhecke. Kein welkes Blättchen verunzierte das Gras. Es hob sich unnatürlich grün von den Braun- und Orangetönen des dahinter liegenden Berges ab und von dem Steingrau der Häuser, die dicht an dicht am Hang standen.
Eine Zeit lang saßen die Brüder schweigend nebeneinander. Ihr kalter Atem gerann zu formlosen Wölkchen, die sich in der Luft auflösten.
»Zwei Jahre, und es kommt mir vor, als wäre es gestern gewesen«, sagte Matt.
So abgedroschen der Satz auch klang, er kam bestimmt von Herzen. »Ich weiß, was du meinst«, antwortete Ben.
»Irgendwie erwarte ich immer noch, dass er wiederkommt. Als ob er jeden Augenblick um die Ecke biegen könnte, um mir zu sagen, dass ich nicht so faul in der Gegend rumstehen soll. Als ob er bloß eine Weile Nachtdienst gehabt
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