Die schwarzen Juwelen 01 - Dunkelheit
brauchte, um die leeren Stunden zu füllen. Doch Draega ... Wenn er sich sicher sein könnte, dass zwei ganz bestimmte Hexen unter dem Geröll zerschmettert und begraben werden würden, würde er die ganze Stadt niederreißen, ohne auch nur mit der Wimper zu zucken.
Er sprang auf die Straße und schlängelte sich zwischen den Kutschen hindurch, ohne auf die erbosten Kutscher zu achten, die holpernd anhalten mussten. Ein oder zwei Passagiere steckten den Kopf aus dem Fenster, um ihm etwas zuzurufen, doch sobald sie sein Gesicht erblickten und erkannten, wer er war, zogen sie sich hastig zurück in der Hoffnung, er habe sie nicht bemerkt.
Seit er an diesem Morgen angekommen war, folgte er einem mentalen Faden, der ihn an ein unbekanntes Ziel zog. Er war nicht beunruhigt, denn die chaotischen Windungen des Fadens verrieten ihm, wer am anderen Ende saß. Er hatte nicht die leiseste Ahnung, weshalb sie sich ausgerechnet in Draega aufhielt, doch ihr Bedürfnis, ihn zu sehen, war groß genug, um ihn zu sich zu rufen.
Daemon betrat den großen Park im Stadtzentrum und verlangsamte das Tempo, sobald er in den Pfad eingebogen war, der ans südliche Ende des Stadtgartens führte. Zwischen den Bäumen, wo der Straßenlärm nur gedämpft herüberdrang, konnte er etwas freier atmen. Er überquerte eine kleine Brücke, die einen plätschernden Bach überspannte, und zögerte einen Augenblick, bevor er an der
nächsten Weggabelung den rechten Pfad nahm, der tiefer in den Park hineinführte.
Schließlich gelangte er zu einer ovalen Grasfläche, an deren Rückseite eine verschnörkelte, gusseiserne Bank stand. Den Hintergrund bildete ein Halbkreis aus Hecken, an denen kleine, weiße Röschen prangten. Die Äste der beiden alten, hohen Bäume, die an je einem Ende des Ovals standen, waren hoch oben derart ineinander verflochten, dass sie nur einzelne Sprenkel Sonnenlichts bis zum Boden durchließen.
Dies war der Ort, an den ihn der Faden gezogen hatte.
Daemon stand auf der ovalen Grasfläche und drehte sich langsam im Kreis. Er wollte schon wieder gehen, als aus den Hecken ein leises Kichern drang.
»Wie viele Seiten hat ein Dreieck?«, fragte eine heisere Frauenstimme.
Seufzend schüttelte Daemon den Kopf. Sie sprach wieder einmal in Rätseln.
»Wie viele Seiten hat ein Dreieck?«, wollte die Stimme erneut wissen.
»Drei«, antwortete Daemon.
Die Hecken teilten sich. Tersa schüttelte sich die Blätter von ihrem ramponierten Mantel und schob sich das verfilzte, schwarze Haar aus dem Gesicht. »Dummer Junge, haben sie dir denn gar nichts beigebracht?«
Daemons belustigtes Lächeln war nicht ohne Zärtlichkeit. »Anscheinend nicht.«
»Gib Tersa einen Kuss.«
Er legte ihr die Hände auf die schmalen Schultern und küsste sie leicht auf die Wange. Zwar fragte er sich, wann sie das letzte Mal etwas gegessen hatte, entschied sich aber, nicht danach zu fragen. Meist wusste sie es nicht oder es war ihr gleichgültig; außerdem würde es sie nur traurig stimmen, wenn er nachfragte.
»Wie viele Seiten hat ein Dreieck?«
Daemon seufzte resigniert. »Liebe Tersa, ein Dreieck hat drei Seiten.«
Tersa blickte finster drein. »Ganz falsch. Gib mir deine Hand.«
Gehorsam hielt Daemon ihr seine Rechte entgegen. Tersa ergriff seine langen, schlanken Finger mit ihren eigenen Knochenhänden und drehte seine Handfläche nach oben. Mit dem Zeigefingernagel ihrer Rechten begann sie, immer wieder drei Verbindungslinien auf seiner Hand nachzuziehen. »Ein Blutdreieck hat vier Seiten, dummer Junge. Wie der Leuchter auf einem Dunklen Altar. Merk dir das!« Wieder und wieder, bis die Linien anfingen, auf seiner goldbraunen Haut weiß zu glühen. »Vater, Bruder, Geliebter. Vater, Bruder, Geliebter. Der Vater war zuerst da.«
»Das ist ja wohl immer so«, meinte Daemon trocken.
Sie achtete nicht auf seinen Einwand. »Vater, Bruder, Geliebter. Der Geliebte ist der Spiegel des Vaters. Der Bruder steht in der Mitte.« Sie hörte auf, die Linien nachzufahren, und blickte zu ihm auf. Es war einer der wenigen Momente, in denen Tersas Augen klar und konzentriert wirkten, obgleich sie dennoch nicht auf ihre Umgebung gerichtet waren. »Wie viele Seiten hat ein Dreieck?«
Daemon betrachtete die drei weißen Linien auf seiner Handfläche. »Drei.«
Aufgebracht sog Tersa die Luft ein.
»Wo ist die vierte Seite?«, erkundigte er sich rasch, um die Frage nicht wieder hören zu müssen.
Tersa klickte den Nagel ihres Daumens gegen den ihres
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