Die schwarzen Juwelen 01 - Dunkelheit
Frühstückszimmer mit der Familie zu sich nehmen zu dürfen. Sie hatte nachgegeben, als ihr klar wurde, dass er seinen Hunger nie stillen konnte, während er bei Tisch Lelands endlosen, nervösen Wünschen nachzukommen hatte. Da er der Familie dennoch beim Frühstück Gesellschaft leistete, hatte er den Vergleich und stellte immer wieder mit einem sarkastischen Grinsen fest, dass sein Frühstück in der Küche in der Regel besser war als dasjenige, das im Frühstückszimmer serviert wurde.
Nach dem Frühstück stellte er sich bei Philip im Büro des Verwalters ein, wo ihm widerwillig eine Liste mit den Aktivitäten des Tages ausgehändigt wurde. Danach kam ein halbstündiger Spaziergang mit Wilhelmina durch den Garten.
Alexandra hatte entschieden, dass Wilhelmina etwas Bewegung benötigte, bevor sie ihre Kunstlektionen bei Lady Graff begann. Lady Graff war eine unsagbar strenge Frau, gegen die Daemon von Anfang an eine Abneigung hegte – ein Gefühl, das sie erwiderte; allerdings hauptsächlich, weil er ihre koketten Annäherungsversuche ignoriert hatte. Der Vorschlag, dass Daemon Wilhelmina begleiten solle, war von Leland gekommen, da Wilhelmina übertriebene Angst vor Männern hatte und die Gesellschaft eines beringten Mannes, der keinerlei Gefahr darstellte, ihr dabei helfen könnte, ihre Furcht zu überwinden. Wann immer das Wetter es also zuließ, begleitete er das Mädchen über das Grundstück.
An den ersten paar Tagen hatte er versucht, sich mit Wilhelmina zu unterhalten und etwas über ihre Interessen zu erfahren, doch sie hatte sich als wenig gesprächig erwiesen, wobei sie dennoch versucht hatte, sich wie eine höfliche junge Dame zu benehmen. Eines Morgens, als sich das Schweigen einmal wieder unerträglich lange hinzuziehen schien, überlegte er sich, dass sie tagsüber so gut wie nie den Luxus besaß, ihren eigenen Gedanken nachhängen zu können. Da sie den Großteil ihrer Zeit in Graffs stählerner Gegenwart verbrachte, war es ihr nicht gestattet »herumzutrödeln« – ein Ausdruck, den Graff eines Tages in einem Tonfall von sich gegeben hatte, der nahe legte, dass es sich dabei um einen häufig geübten Kritikpunkt handelte. Also stellte er seine Konversationsversuche ein und gewährte ihr diese halbe Stunde des Alleinseins, während er respektvoll zu ihrer Linken ging und ebenfalls den Luxus genoss, Zeit für sich zu haben.
Bei ihren Spaziergängen hatte sie immer ein Ziel, obgleich sie es niemals zu erreichen schien. Egal, welche Gartenpfade sie nahmen, sie gelangten schließlich jedes Mal an einen schmalen Weg, der zu einer völlig überwucherten Nische des Gartens führte. Sobald sie den Pfad erreichten, wurden ihre Schritte zögerlich, bis sie schwer atmend daran vorbeieilte, als sei sie eine lange Strecke gelaufen. Er fragte sich, ob ihr dort etwas zugestoßen war, etwas, das ihr noch immer Angst einjagte und sie doch immer wieder anzog.
Eines Morgens, als er ganz in Gedanken versunken über das Rätsel seiner Lady nachgrübelte, bemerkte er, dass sie stehen geblieben waren und Wilhelmina ihn schon eine Zeit lang beobachtet haben musste. Sie standen vor dem schmalen Pfad.
»Ich möchte dort entlanggehen«, meinte sie herausfordernd, die Hände an den Seiten zu Fäusten geballt.
Daemon musste sich auf die Innenseite seiner Lippe beißen, um keine Miene zu verziehen. Dies war der erste Lebensfunke, den sie ihm gegenüber gezeigt hatte, und er
wollte ihn nicht mit einem Lächeln zum Erlöschen bringen, das sie als herablassend und gönnerhaft missdeuten könnte. »Also gut.«
Sie wirkte überrascht, da sie offensichtlich eine Auseinandersetzung erwartet hatte. Mit einem zaghaften Lächeln führte sie ihn den Pfad entlang durch eine bogenförmige Pergola.
Der kleine Gartenabschnitt war von mächtigen Eiben umgeben, die aussahen, als seien sie auf dieser Seite seit etlichen Jahren nicht mehr gestutzt worden. Ein Ende wurde von einem Ahornbaum beherrscht, der von einer kreisförmigen, gusseisernen Bank umgeben war, deren einst weiße Farbe mittlerweile jedoch fast vollständig abgeblättert war. Vor den Eiben ließen sich die unordentlichen, unkrautüberwucherten und ungepflegten Überreste von Blumenbeeten ausmachen. Doch was ihm den Atem raubte und sein Herz zu schnell und zu heftig schlagen ließ, war das Beet mit Hexenblut in der gegenüberliegenden Ecke.
Blüte oder Blattwerk, Hexenblut war schön, tödlich und – so hieß es in den Legenden – unzerstörbar. Die blutroten Blumen
Weitere Kostenlose Bücher