Die schwarzen Juwelen 03 - Schatten
den schmalen Gang, sodass Daemon gezwungen war, weiter zurückzuweichen. Der Eyrier ließ die Tür zu dem Privatgemach aufgleiten und meinte: »Rein mit dir.« Dann schob er sich seitlich durch den Türrahmen, um nicht mit den Flügeln anzustoßen.
Widerwillig folgte Daemon ihm und ließ die Tür hinter sich zugleiten.
Lucivar hatte am anderen Ende des Raums Stellung bezogen. Daemon blieb an der Tür stehen.
Nachdem Lucivar tief durchgeatmet hatte, meinte er: »Es tut mir Leid, dass ich meine Wut an dir ausgelassen habe. Ich war nicht zornig auf dich . Ich … ach, verdammt, Daemon, ich bin jede erdenkliche Liste durchgegangen, und irgendwie muss ich deinen Namen übersehen haben. Wenn wir nicht solches Glück gehabt hätten, wärst du an irgendeinem anderen Hof gelandet, und vielleicht hätte es keine Möglichkeit gegeben, dich aus dem Vertragsverhältnis zu befreien.«
Daemon spürte, wie eine Schicht der Anspannung von ihm abfiel. Er zwang sich, seine Lippen zu einem Lächeln zu verziehen. »Tja, diesmal hatten wir Glück.« Dann sah er Lucivar an, sah ihn richtig an, und das Lächeln wurde aufrichtig. »Du lebst.«
Lucivar erwiderte das Lächeln. »Und du bist nicht mehr wahnsinnig.«
Ein Zittern durchlief Daemons Körper, und er gab sich alle Mühe, sich zu beherrschen. In seinen Augen brannten Tränen. »Lucivar«, sagte er leise.
Er wusste nicht, wer von ihnen beiden sich zuerst bewegte. Während sie in dem kleinen Raum erst so weit wie möglich voneinander entfernt gestanden hatten, umarmten sie sich im nächsten Augenblick und hielten einander fest, als hinge ihr Leben davon ab.
»Lucivar«, flüsterte Daemon erneut und drückte das Gesicht an den Hals des Bruders. »Ich dachte, du seiest tot.«
»Beim Feuer der Hölle, Daemon«, sagte Lucivar leise und mit heiserer Stimme. »Wir konnten dich nirgends finden. Wir wussten nicht, was mit dir geschehen war. Wir haben nach dir gesucht, ich schwöre dir, wir haben so sehr nach dir gesucht.«
»Ist schon gut.« Daemon streichelte Lucivar über den Kopf. »Ist schon gut.«
Lucivar schlang die Arme so fest um ihn, dass Daemons Rippen schmerzten.
Daemons Hand in Lucivars Haaren wurde zur Faust. »Lucivar … Ich weiß, dass es Dinge zwischen uns gibt, die wir regeln müssen. Aber können wir sie aufschieben, nur für kurze Zeit?«
»Wir können sie aufschieben«, entgegnete Lucivar ruhig.
Daemon trat einen Schritt zurück. Mit den Daumen strich er Lucivar zärtlich die Tränen aus dem Gesicht. »Am besten gesellen wir uns wieder zu den anderen.« Er wandte sich um und ging zur Tür.
Da stand Lucivar hinter ihm und packte ihn mit der linken Hand am linken Arm. Einen Augenblick lang legte Daemon seine rechte Hand darüber. Als seine Finger wieder von Lucivars glitten, blickte er hinab, und in diesem Moment traf ihn die Bedeutung dessen, was er zuvor schon gesehen, aber nicht wirklich wahrgenommen hatte.
»Daemon«, meinte Lucivar eindringlich. »Es gibt da etwas, das ich dir sagen muss. Ich denke, du weißt es vielleicht bereits, aber du musst es trotzdem hören.«
Sie lebt! Erneut durchlief ein Zittern Daemons Körper. »Nein«, entgegnete er. »Nicht jetzt.« Er schob die Tür auf und taumelte auf den Gang hinaus. Er hatte Mühe, nicht das Gleichgewicht zu verlieren, als er in die Toilette ging und die
Tür mithilfe der Kunst verschloss. Er bebte am ganzen Körper. Sein Magen verkrampfte sich. Während er sich über das Waschbecken beugte, kämpfte er gegen ein starkes Schwindelgefühl an.
Zu spät.
Hätte er vor fünf Jahren versucht, sie zu finden, gleich als er aus dem Verzerrten Reich zurückgekehrt war, wäre es vielleicht etwas anderes gewesen. Wenn er nach dem Höllenfürsten gesucht und zumindest versucht hätte, herauszufinden, was wirklich in jener Nacht an Cassandras Altar passiert war …
Zu spät.
Er konnte sich zusammenreißen. Er würde sich zusammenreißen. Sein Geist war viel zerbrechlicher, als er irgendjemandem gegenüber zugeben wollte. Oh, seine geistigen Kräfte waren unversehrt. Er hatte ein paar Erinnerungen eingebüßt, ein paar kleine Splitter des Kristallkelches, aber Daemon war ganz, und er war geistig gesund. Doch der Heilungsprozess würde nie vollständig sein, weil er die eine Person verloren hatte, die er dazu brauchte. Es war gleichgültig gewesen, als er lediglich lange genug in einem Stück hatte bleiben wollen, um den Höllenfürsten zu töten. Auch jetzt machte es keinen wirklichen Unterschied. Er konnte
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