Die schwarzen Juwelen 05 - Finsternis
sein sollte, würde er einen Hilferuf nicht einfach ignorieren.
*Vater!*
Keine Antwort.
Er versuchte es auf einem opalenen Faden. *Mutter! Wir brauchen eine Heilerin!*
Schweigen.
Lias Atem wurde immer röchelnder.
Jared verschickte einen breit gefächerten Ruf aus der Tiefe von Rot und ließ ihn sich in einem immer größeren Kreis ausbreiten, so weit er ihn senden konnte. Es bestand natürlich die Gefahr, dass ihm ein Feind antworten würde, aber er war verzweifelt genug um zu glauben, dass jede Antwort besser als keine war. *Bitte! Ich brauche Hilfe!*
Da er nicht wusste, was er sonst tun sollte, versuchte er es wieder und wieder.
Hier.
Zuerst war er sich nicht sicher, ob er eine Antwort erhalten hatte.
Hier.
Es war kein Kommunikationsfaden. Dies hier war viel subtiler. Er vermochte nicht zu sagen, ob ihm ein Mann oder eine Frau geantwortet hatte. Er wusste noch nicht einmal, aus welcher Richtung die Antwort erfolgt war.
Hier.
Es würde ihn führen. Er hätte nicht erklären können, warum er daran glaubte, aber als er das sanfte mentale Ziehen spürte, war er sich völlig sicher.
Jared schlug die Augen auf und erhob sich.
»Hast du etwas gefunden?«, flüsterte Thera.
Die schmerzliche Hoffnung in Theras Stimme gab für ihn den Ausschlag. »Vielleicht«, sagte er und hob Lia empor.
»So kann sie nicht mitkommen«, sagte Thera und rief ihren dunkelgrünen Kapuzenumhang herbei. »Sie wird frieren.«
Jared war sich nicht sicher, ob Lia im Moment überhaupt irgendetwas spüren konnte, doch er widersprach nicht. Er und Blaed hielten sie aufrecht, während Thera ihr den Umhang umlegte und die Kapuze über den Kopf zog.
Jared schlang die Arme um Lia und ließ ihren Kopf an seiner Schulter ruhen. Er sah Blaed an. »Kommt so schnell wie möglich nach Ranonwald, egal wie.« Er zögerte und hoffte inständig, dass sich seine Worte als Wahrheit herausstellen würden: »Wir werden dort zu euch stoßen.«
Blaed legte Thera einen Arm um die Taille. »Möge die Dunkelheit dich umarmen, Jared.«
»Und dich.«
Hier.
Nachdem Jared Lia mit einem roten Schutzschild umgeben hatte, sprang er auf den roten Wind auf und folgte der vagen Hoffnung auf Hilfe.
War es doch nur eine Falle gewesen?
Jared starrte die große, einfach wirkende Herberge an. Irgendwie ließen die sauberen Fenster und die kleinen Blumenbeete zu beiden Seiten der hell gestrichenen Tür das von Kletterpflanzen überwucherte Steingebäude noch viel primitiver wirken, wie ein verschwitzter Arbeiter neben einer Frau, die für eine Teegesellschaft herausgeputzt war.
Kein eleganter oder gar vornehmer Ort, entschied Jared. Gewiss nicht nach adeligem Geschmack, aber auf jeden Fall von Angehörigen des Blutes geführt. Ein Ort, der von Angehörigen des Blutes bewohnt wurde, hatte eine unverwechselbare Aura, die von dem Holz und den Steinen aufgesogen wurde.
Jared richtete seine Aufmerksamkeit von der Herberge
auf die nahe gelegene Straße, die zu dem Dorf der Blutleute führte, das sich in zwei Meilen Entfernung befand. War das sein Ziel?
Mit einem Seufzen richtete Jared wieder seine Aufmerksamkeit auf die Herberge. Das lockende Ziehen, von dem er sich hatte leiten lassen, hatte hier aufgehört. Wenn sich die Person, die ihm geantwortet hatte, in dem Dorf befand, hätte er das Ziehen dann nicht weiter gespürt? Also befand sich die Quelle hier.
Er hatte die Herberge behutsam mental abgetastet und dort zwanzig Menschen vorgefunden, darunter drei Frauen. Vielleicht war eine von ihnen eine Heilerin.
Über die Schulter hinweg betrachtete Jared den schwachen Umriss einer in einen Umhang gehüllten Gestalt. Bevor sie von den Winden auf diesen Landeplatz gelangt waren, hatte er Lia vorsorglich mit einem roten Sichtschutz umgeben. Außerdem ließ er sie mithilfe der Kunst in der Luft schweben, damit es nicht für jeden, der aus dem Fenster sah, offensichtlich war, dass er nicht alleine war. Einen Augenblick lang lauschte er ihrem mühsamen Atem. Das Geräusch war ihm gleichzeitig Qual und Erleichterung.
Bei seiner Ankunft hatte er den Menschen mit rotem Juwel, der ihn hergeführt hatte, nicht in der Herberge entdecken können. Deshalb stand er immer noch auf dem Landeplatz, obwohl er wusste, dass Lias Lebensenergien mit jeder Minute, die er zögerte, entschwanden.
Entscheide dich, dachte er. Entscheide dich, bevor sie einen Atemzug tut, der keinen Nachfolger mehr hat.
Jared fuhr sich mit der Hand durch das Haar und klopfte sich den Staub von der
Weitere Kostenlose Bücher