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Die schwarzen Juwelen 06 - Nacht

Titel: Die schwarzen Juwelen 06 - Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Bishop
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durchgegangen wäre. Es ging also doch um ihn.
    Diese Wahrheit traf ihn wie ein Messerstich mitten ins Herz.
    »Nein, du bist nicht wie ich. So wenig, wie ich wie du bin.« Er kehrte an den Ebenholzschreibtisch zurück und lehnte sich dagegen, die Holzkante mit den Händen umklammernd. »Worum geht es, Lucivar? Im Bergfried warst du sauer auf mich, und du bist es immer noch. Warum?«
    Verletzlich. Zerbrechlich. Er ertrug es nicht, Lucivar in diesem Zustand zu sehen.
    »Ich bin nicht so gebildet wie ihr«, stieß Lucivar in Richtung Wand hervor, Daemons Blick ausweichend.
    Soll ich ihn umarmen oder umbringen? »Eyrier schätzen diese Art Bildung nicht. Ich lerne aus Büchern, weil es mir Spaß macht. Abgesehen davon ist Wissen aber auch eine andere Art von Waffe.« Er hielt inne, um das Schlachtfeld und den Gegner einzuschätzen, und fügte dann hinzu: »Außerdem liest du nicht gerne.«
    »Ich kann lesen.« Eine rasche, beinahe automatisch hervorgebrachte Verteidigung.
    »Ich weiß, dass du lesen kannst«, versetzte Daemon trocken. »Seit unserer ersten Begegnung – oder was ich für unsere erste Begegnung hielt – habe ich dich bedrängt und drangsaliert und dein Ego verletzt, um dich zum Lernen anzuspornen. Genauso wie du mich bedrängt und drangsaliert und mein Ego verletzt hast, bis ich ein paar grundlegende Waffenfertigkeiten erlernt habe.«
    Im Laufe ihrer jahrhundertelangen Versklavung waren sie immer wieder in Streit geraten, ohne zu begreifen, weshalb sie nicht anders konnten, als sich gegenseitig anzutreiben und das Wissen und die Fähigkeiten zu teilen, die sie erworben hatten. Selbst nachdem sie erfahren hatten, dass sie Brüder waren, war ihnen nicht klar gewesen, dass dieses Bedürfnis, die schwächere Seite des anderen zu beschützen,
seinen Ursprung in einer Kindheit hatte, an die sie sich nicht erinnern konnten.
    Lucivars Schultern lockerten sich ein wenig, und ein kurzes, aber echtes Lächeln huschte über sein Gesicht.
    »Du kannst lesen«, sagte Daemon, »aber das Lesen bereitet dir keine Freude. Es ist dir immer schwer gefallen. Vielleicht liegt es nicht allein an dir, Lucivar. Das eyrische Volk hat eine stark ausgeprägte mündliche Tradition, in der Geschichten überliefert werden, aber die Leute legen keinen großen Wert auf das geschriebene Wort.«
    »Marian liest viel«, murmelte Lucivar. »Sie mag Bücher.«
    »Dann ist es vielleicht kulturell bedingt. Lesen ist ein weiblicher Zeitvertreib, etwas, das die Männer nachsichtig verspotten können.«
    »Ich verspotte nichts«, sagte Lucivar. Dann fügte er kaum hörbar hinzu: »Das würde ich niemals wagen.«
    Jetzt umkreisten sie das Herzstück der Verletzung. Folglich lehnte Daemon sich einfach zurück und wartete ab. Und fühlte, wie sich Erinnerungen in ihm regten.
    »Vielleicht gehört es dazu, ein eyrischer Mann zu sein«, sagte Lucivar. »So wie es normal ist, stärker zu sein und mehr Muskeln zu haben als Frauen.«
    »Vielleicht.«
    Lucivar holte tief Luft und ließ sie langsam wieder entweichen. Beinahe hätte Daemon vor Erleichterung aufgeseufzt. Sie hatten das Schlimmste ohne allzu viele Blessuren hinter sich gebracht.
    Dann sah Lucivar ihm in die Augen, und die Worte sprudelten nur so aus ihm hervor. »Ich will es aber für Daemonar. Die Bildung. Diese Art von Wissen. Ich will nicht, dass er sich gehemmt fühlt. Ich möchte nicht, dass er das Gefühl hat … weniger wert zu sein.«
    Daemon richtete sich kerzengerade auf. Dann sog er die Luft scharf ein, weil sein Rücken schmerzte. Doch seine Stimme klang kalt, wenn auch nicht scharf genug, um zu verletzen. »Wenn du mir auf diese Weise sagen möchtest, dass du dich mir – abgesehen von meinen dunkleren Juwelen
– auf irgendeine andere Art und Weise unterlegen fühlst, werde ich dich grün und blau schlagen.«
    Lucivar lächelte sein träges, arrogantes Lächeln. »Versuch’s doch.«
    Sie befanden sich wieder auf vertrautem Boden. Einfach so.
    Und da sie sich wieder auf vertrautem Boden befanden, gestattete sich Daemon ein entnervtes Schnauben. »Ich bin nicht blind, Mistkerl. Das Lesen macht dir also keinen Spaß. Deswegen wird nicht gleich das Gebirge einstürzen.«
    »Daemonar ist aus der Bibliothek ausgesperrt worden.«
    Daemon warf die Hände in die Luft. »Er ist ein kleiner Junge. Im Moment interessiert ihn an den Büchern nur, dass er sie herumwerfen oder zerreißen oder anknabbern kann. Lucivar! Sein Großvater ist der Höllenfürst und der stellvertretende

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