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Die schwarzen Raender der Glut

Die schwarzen Raender der Glut

Titel: Die schwarzen Raender der Glut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Ritzel
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der Plural von Leber ist.
    Es klopft an die halb herabgelassene Fensterscheibe, gebückt steht ein weißhaariger Greis im sommerlichen Leinenjackett am Auto und streckt ihr die Altersflecken auf seiner Stirn entgegen. »Entschuldigen Sie, aber suchen Sie jemanden hier?« Birgit atmet flach durch. »Nein, aber Sie sind sehr aufmerksam.« Schleicht umher und linst, dass keiner in eurem schnieken Villenviertel einbricht. »Ich ruhe mich nur etwas aus, wie Sie sehen. Im Schatten, es ist sehr heiß heute, wissen Sie.« Leute in deinem Alter merken das gar nicht mehr. Denen kann es nicht warm genug sein. Aber schnüffeln, dazu reicht es. Kümmer dich doch mal um die Leute in euren feinen Villen, die anderen den Mann wegnehmen, als wär’s ein Spielzeug.
    »Brauchen Sie Hilfe?«
    Heuchler. Außerdem wirst du allmählich penetrant. »Nein, sehr freundlich. Aber können Sie mir sagen, wo ich hier eine Telefonzelle finde?«
    Ich muss wirklich telefonieren. Mutter weiß noch gar nichts. Ein Glück, dass sie Hubert nicht mag, und Hubert sie nicht. Er wird nicht anrufen, es sei denn . . .
    Immer kann irgendetwas sein. Irgendein Unsinn, den das Rektorat gestiftet hat. Etwas mit der Katze. Irgendetwas im
Haushalt geht kaputt, der Kühlschrank oder der Wäschetrockner, Männer können grauenvoll hilflos sein. Hubert jedenfalls. Der Schnüfflergreis zeigt ihr den Weg. Sie bedankt sich und fährt los, und erst als sie die Telefonzelle findet, fällt ihr ein, dass es Freitag ist. Wieso hat sie eigentlich ihr Handy nicht mitgenommen?
    Noch ehe sie aussteigt und die Münzen herausgesucht und in der stickigen, unerträglich heißen Zelle die Freiburger Nummer gewählt hat, hört sie den entsetzensschrillen, hohen, gleich bleibenden Klageton: »Aber Kind, ich habe heute doch meinen Bridge-Abend ...«
    Aber das hilft nichts. Was man einmal angefangen hat . . .
     
    Florian Grassl fährt mit dem Audi durchs dämmrige Wieshülen, vorbei an zwei Bäuerinnen und drei Hühnern, Ortsvorstehers gelbschwarzer Köter geht Amtsgeschäften nach, Grassl biegt nicht zur Akademie ab, sondern nimmt die nächste Straße, die in einen Flurbereinigungsweg mündet, und der führt zum Schafsbuck.
    Am Waldrand hält er an, parkt den Audi halb unter den Bäumen, überlegt, ob er aussteigen soll, und tut es dann doch, weil er vom vielen Fahren steif ist im Rücken. Aus seiner Tasche nimmt er das Fernglas mit und stellt sich unter einen Baum, von dem aus er die Akademie sieht.
    Grassl will nachdenken. Er hat die beiden Pakete nicht im Schweizer Safe verstaut, und er bringt sie auch nicht zurück.
    Also muss er dem Alten eine Geschichte erzählen.
    Was kommt in dieser Geschichte nicht vor? Unnütze Dinge werden nicht vorkommen. Wozu muss Gerolf Zundt wissen, dass Frau Roswitha Bullinger, gesch. Grassl, in Nördlingen wohnt, Am Grünen Meer 5? Nichts kann er damit anfangen, denn Roswitha Bullinger wird die beiden Pakete, die sie morgen per Eilboten bekommen wird, sorgfältig aufbewahren. So sorgfältig, dass nicht einmal ihr Gatte Heinz »Butzi« Bullinger etwas davon mitbekommt, geschweige denn irgendjemand sonst.

    Muss Gerolf Zundt wissen, wer alles in einem blauen BMW mit Stuttgarter Nummer zwischen Wieshülen und Friedrichshafen unterwegs ist? Auch das muss Gerolf Zundt nicht wissen. Denn entweder weiß er sowieso nichts von diesen Leuten, dann weiß Grassl etwas, das Zundt nicht weiß. Oder Zundt weiß davon, und dann war es kein besonders schöner Zug, ihn diese Pakete durch die Landschaft kutschieren zu lassen.
    Strafe muss sein, denkt Grassl.
    Und Ihnen ist kein blauer BMW gefolgt? Mit so Kurzgeschorenen darin?
    Nein, Chef, mir ist nichts aufgefallen.
    Wo aber sind dann die Pakete?
    Das war so, Chef. Da war eine große Rauschgiftfahndung. Also der Schweizer Zoll hat. Und da hab ich doch Bedenken bekommen. Und die Pakete in den See . . .
    Nein. Das geht nicht. Florian Grassl verzieht das Gesicht und nimmt sein Fernglas und betrachtet erst einmal die Akademie, irgendwie muss er sich atmosphärisch besser darauf einstellen, einfühlen sozusagen.
    Sommersattgrün die Kastanien. Dahinter das Haus. Dunkel. Noch dunkler der Alte Stall mit den Gästezimmern im ausgebauten Dach.
    Ist Meister Zundt wirklich nicht da? Er korrigiert die Einstellung und bekommt die Bronzetafel vor Augen mit Grünheims Dichterwort:
    Und wenn mein Blut denn fließen muss
    noch einen letzten Abschiedsgruß
    deutsche Erde
    Grassl will den Feldstecher schon anheben, als ihm eine schwarz

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