Die Schwebebahn - Dresdner Erkundungen
in einem Schwimmbad (und litt); Ulrike hörte die beduinenhaft umschleierten, auf den Treppenabsätzen zu sinnendem Eiskunstlauf ausgewischten Schritte Adolzaides, die im achten Stock wohnte und unsere Klavierlehrerin war.
Straßenbahn 1982
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Sie zog ein selbstgenähtes gelbes Abendkleid voller schwarzer Augen und Ohren an, wenn sie ins Theater ging, sie lackierte ihre Fingernägel mit »sküs«, dessen Geruch den Schülern schon im Flur die Nasen beizte, sie sagte den Anfängern »Auf den Tragflächen des Ge-ßangs müßt ihr dahinfarren«, stand auf und stieß die Arme in die Luft, als wollte sie abheben, »dahinfarren müßt ihr, mit Ge-ßang!«; seufzte, wenn ein Fortgeschrittener zuwenig Pedal gebrauchte, »Ent-führen mußt du sie, an dich rreißen, so rrichtig im Ga-lopp …« Die Nachmittage bei ihr hatten etwas Vertrauenerweckendes, denn Adolzaide, genannt nach der Fee aus Hauffs Märchen »Saids Schicksale«, stellte Fragen so, daß sie ihre liebenswürdige Seite den Antworten zuwandten, die dann auch kamen wie Tauben zum Vogelfutter (und ebenso zahlreich wie verwirrend unausgewählt); sie legte die Hand ans Kinn oder kraulte das pechige Haar, wobei eine Woge des Parfums »Blauer Samt« vorüberglitt, betrachtete mich und überlegte: Mal sehen, was das Kla-fier zu Beethoven sagt … Schon auf der Treppenkehre eine halbe Etage vor Adolzaides Tür begannen Filzpantoffeln ihre Revue, einträchtig ein Paar neben dem anderen, auf den Stufen nach Größen geordnet, die größten unten, weil die älteren Schüler nach Adolzaides Überzeugung die bedeutenderen Schmutzfinken waren und den Teppich im Wohnungsflur mit ihren Straßensohlen ruinieren würden. Hin und wieder mußte ein Pantoffel ersetzt werden, dann erschien Adolzaides Mutter, die in der Wohnung eine Werkstatt betrieb, kramte aus ihrer schillernden Schürze ein Fußmaß heraus mit Umrißlinien, an denen die Worte Senkfuß und Plattfuß drohten; der Schüler stellte sich in das rosenrote Plaststück, die Mutter ging mit den Maßen nach nebenan, bald darauf war das Rattern einer Nähmaschine durch das Tonleitergestocher der Schüler zu hören. Adolzaide gab, wenn sich die Nadel im Filz festfraß, einem Steingutkätzchen auf dem Klavier (Thürmer, Meißen, Wurzelholz braun) einen beruhigenden Nasenstüber. Unter dem Ticktack des Metronoms kamen die Donnerstage, dann übte Herr Schurich nebenan, der Barpianist war. Adolzaide überließ das Klavier an Donnerstagen einer Ungeduld, die den Schülern immer wieder mit sanften Strafenzwischen die Finger fuhr, sie alsbald aus den Tasten hob, denn von der anderen Seite des Betons gelangten immer klingendere Notengrüße in die Fluchten des Zimmers, das vollgehängt mit Waldlandschaften und Troddeldeckchen war, Reisemitbringseln aus Ungarn und Aserbaidschan. Adolzaide mußte die Tür zum WC geöffnet lassen, da dessen Wand an die von Herrn Schurichs »Pianofortekabinett« grenzte; Adolzaides Mutter spülte oft an Donnerstagen, sobald Herr Schurich in zügellosere klavieristische Mitteilungen griff –
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(… die Arme an den Körper gezogen, wie abwehrend, die Hände nach außen verrenkt, die Haut über den Händen runzlig, die Hände von Herrn Schurich waren, wie ich später erfuhr, einst gebrochen worden, die übergroße Brille machte die Augen dahinter übergroß, wehrte ebenfalls ab, so schien mir, eine derartige Fläche Glas sollte schützen, sollte spiegeln: so saß Herr Schurich beim Klavier, den »Pianofortes«, wie er betonte, der Bars und Hotels von Dresden und spielte auf, zuerst »was Lustsches«, denn die Kundschaft müsse warm werden und dabei sitzen bleiben, sie müsse bestellen, und das tue sie, wenn sie aufgeheitert sei, bevor sie angeheitert werde, sagte Herr Schurich, dann »was fürs Gemüt«, eine »wehmütsche Waise« – Herr Schurich, das schüttere Haar mit »Bombastus«-Birkenwasser gebändigt, dehnte das e zum a, nachdenklich und mit wegwischender Bewegung der Linken, der Hand für die Stützakkorde –, denn man müsse die »Herzen bissel belutschen«, die Stadt sei voller Trauer, die ab und an mal rausmüsse, und wo, wenn nicht bei ihm oder auf den Friedhöfen könne die Kundschaft mal eine Träne äußern, und man müsse als Pianist stets der Einsamen gedenken, die ihre bedeckten, sprich: vergrabenen Wünsche hätten, aber sich nicht getrauten, nichtwahr, und wo blieben sie denn, wenn nicht durch die Blumen und auf den Flügeln eines Takts für vier Füße, nichtwahr, und
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