Die Schwebebahn - Dresdner Erkundungen
Idole. Maria Cebotari in einer »Tosca«-Aufführung, Torsten Ralf als Lohengrin, Arno Schellenberg im »Freischütz«, Carlos Kleiber dirigiert den »Tristan«; Fotos von der Dresdner Uraufführung aller Uraufführungen: 26. Januar 1911, »Der Rosenkavalier«, Hofmannsthal sitzt melancholisch in der Loge, neben ihm Richard Zwo, wie die Musiker sagen, und Strauss’ Gattin Pauline mit gelbem Turban, das Europa der Belle Époque hört einem Spiel aus Wien zu, dem die Ahnung seiner Vergänglichkeit eingeschrieben ist, die Echos der kommenden Katastrophen. Aus Berlin werden Rosenkavalier-Züge nach Dresden fahren. Die Fotos schwimmen davon, so viele Adolzaide auch zu bergen versucht, die Widmungen verflüssigen sich, und die Klaviere, die unersetzlichen Steinway- und Blüthnerflügel, werden angehoben und schaukeln auf der Brühe, während die Pumpen laufen, die Kostüme von »Schwanensee« im Zuschauerraum trocknen und eine Rettungsmannschaft verzweifelt, Gesichter in den Händen, sich für ein paar Augenblicke auf eine Treppe setzt. Adolzaide hat das Lächeln einer Verrückten, als sie in den wandernden Papieren ihre eigene vertraute Handschrift entdeckt: »Meine geliebte Kapelle! … Was ist es doch für ein Wunder, daß Sie jeden Abend den Streit begraben, daß Sie jeden Abend zusammen spielen!«
Porzellansammlung, Candida Höfer, Fotografie: Weiße Decke, Stuckbögen, pfirsichfarben ausgemalt, der Fußboden aus taubengrauen Steinplatten, glatt und schimmernd wie eine Eisbahn. Vier Beistelltische, ein Armstuhl, wahrscheinlich Deutsche Werkstätten, Hellerau. Links, von einer schwarzen Kordel beschützt, eine Vorhut aus Tieren, die dicht beieinanderbleiben. Rechts, ebenfalls hinter einer schwarzen Kordel, zwei weiße Vögel (Störche? Kraniche?), unter ihnen der Porzellanpfau mit zum Kreis geschlagenem Schwanz. Die dem Betrachter nähere der beiden provisorischen Deckenlampen eine graue Kapsel, blättrig und ausgetrocknet; durch das Weiß dringender Mohn.
Porzellansammlung, Atelier Eberhard Göschel, Werner Lieberknecht, Fotografie: Die über und über mit Schwarz bedeckten, bekleckerten, bespritzten, bearbeiteten Wände, ein Toilettenbecken (?) unter Weißschlacke, gespachtelte Sonnen, zerschabtes, hier verhungertes, dort geballtes und gemästetes Schwarz, Strahlen, Abbruch, ein Aufbäumen,hin und wieder ein Rotz Romantik, eine Fläche aus Pecheiern; Wahnsinn und Oktober haben den Raum erfaßt; wutverbrannte Türen, Fremdkörper (eine Zange, Messerklingen, Zigarettenstummel, Nägel) im Weißleib inkrustiert, der schwarze Narben zu bilden versucht. Was für Farben zwischen Schwarz und Weiß.
(Rosenkavalier: Diese mit Rokoko betreßte Sache, wahr nur beim Schlag der Uhren, Monolog der Marschallin, doch liebenswürdig, aus dem Meerschaum vor Abendland geboren –)
Porzellansammlung, die Präparatoren: Der verletzte Körper ist ihre Kränkung, die bleibende Wunde. Man versuchte, die alte, nahezu vollständig vernichtete Stadt wiederaufzubauen, nicht nur in Gedanken, sondern wie man eine kostbare, zertrümmerte Uhr Rädchen um Rädchen wieder zusammensetzt (und erst dadurch von Grund auf kennenlernt); man hatte verlorene Einzelteile nach verzweifelt gesuchten, glücklich gefundenen, »davongekommenen« Plänen wiederbeschafft (wie überhaupt das »wieder«, Indikator eines kindlichen, nicht immer verurteilenswerten Verlangens, in Dresden seine Rolle spielt); besessen von einer Idee, legte man den Traum der Stadt in die linke Schale, um die Wirklichkeitshölle in der rechten aufzuwiegen – das Zünglein an der Waage pocht, als wäre es aus Gewissen.
Porzellansammlung, Buchbinderei Funk, Oberwachwitzer Weg 1: »Lieber Thomas Sparr: Daß der Dresdentext Ihnen zusagt, freut mich sehr. Ich danke Ihnen für die Anregung dazu. Vor einigen Wochen bin ich nach Wachwitz zu einer Buchbinderin gegangen, um die frühe Fassung in ein paar Exemplaren binden zu lassen. Auf dem Weg blieb ich am Elefantenbrunnen stehen, aus dem ein Sarrasani-Elefant getrunken haben soll, der in der Zeit des 1. Weltkriegs Rüben und Kartoffeln nach Wachwitz bringen mußte, wofür man ihm eigens Lederschuhe anfertigte; Pferde und Zugmaschinen waren requiriert. ›Buchbinderei Angelika Funk, vormals Erich Finsterbusch‹, steht auf einem großen Schild am kleinen Haus. Hoch über einer der steilen Wachwitzer Moosstiegen finde ich eine Werkstatt, die selbst ins Buch gehört, eineaus der Gegenwart gefallene Kammer inmitten von alten Obstbäumen und
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