Die Schwere des Lichts: Roman (German Edition)
drang durch den Raum. Als ich aufsah, stand er in der Tür, blinzelte ins Morgenlicht, immer noch in seiner Leinenpyjamahose und einem weißen T-Shirt.
»Verdammt«, wiederholte ich.
»Was ist los? Bist du die ganze Nacht aufgeblieben?«
Ich nickte. »Mehr oder weniger.«
Er schüttelte den Kopf. »Hast du den Verstand verloren?«
»Ich glaube nicht«, sagte ich.
»Dann ist gut. Ich dusche jetzt und mache mich dann auf zur Arbeit. Wir sehen uns heute Abend?«
»Ist gut«, sagte ich, ihn nachahmend, in dem Wissen, dass er es nicht merken würde. Zum ersten Mal seit langem war ich wütend auf ihn. Nein, mehr als wütend. Ich wollte ihm einen Stoß versetzen oder ihm das Tagebuch ins Gesicht werfen oder seine Golftrophäe durch das Fenster des Wintergartens schleudern. Er merkte nichts und ließ mich wieder allein.
Mein Ärger verschwand so schnell, wie er gekommen war, und ich fühlte mich ausgelaugt, so leer wie die Vase auf dem kleinen Stehtisch, in der manchmal Blumen waren, aber eben nur manchmal.
Ich war ratlos, wie ich mit diesen negativen Gefühlen über meine Ehe und meinen Mann umgehen sollte. Damals hatte ich keine Worte, um das Gefühlschaos zu beschreiben, ich war der Aufruhr selbst, an einem Ort gestrandet, wo Worte und Sätze nicht existierten, Erklärungen noch nicht erfunden waren und nur Angst und Wut herrschten. Ich wollte Worte für das Gefühl.
Doch wie immer schob ich die beunruhigenden Gefühle beiseite und begann den Tag. Zweimal war ich amNachmittag kurz davor, zum Hörer zu greifen, Hutch anzurufen und ihm zu sagen, dass ich Mutters Geschichte gefunden hatte, dass wir vielleicht gemeinsam ihren »einen kurzen Sommer« in Alabama rekonstruieren könnten. Ich versuchte, diesen Wunsch zu verdrängen, aber auch wenn ich mein Handeln im Griff hatte, meine Gedanken machten, was sie wollten. Mein Herz und meine Gedanken wanderten – wie unbekümmerte, ungehorsame Kinder – in die Vergangenheit.
Und in der Vergangenheit fand ich meine Gegenwart.
An dem Tag dämmerte mir langsam, dass ich in gewisser Hinsicht Mutters Geschichte wiederholte. Ich hatte ihre Lektion so verinnerlicht, dass ich mich nicht einmal daran erinnern konnte, sie gelernt zu haben. Die Lektion hieß: Schütze dich auf die richtige und passende Art und Weise. Jetzt verkümmerte ich in einer Ehe und in einem Leben, die den wichtigsten Teil meines Herzens hatten absterben lassen – den Teil, der Gefühle empfand. Wenn man nur noch funktioniert, dann verspürt man keine Wünsche oder Bedürfnisse, das eigene behütete Leben folgt dann einem vorherbestimmten Pfad, der einem keine Entscheidungen oder Handlungen abverlangt.
Mutters Geschichte, ausgebreitet über Seiten und Jahre, beschrieb, was sie getan hatte: Als ihr das Herz gebrochen wurde, als sie gebrochen wurde und der Schmerz unerträglich war, hatte sie ihre Seele verschlossen und die eine Entscheidung getroffen, die bedeutete, dass sie nie wieder eine andere treffen musste. Ihr Herz, einmal zum Schweigen gebracht, würde sie nie wieder mit seinen Wünschen und Bedürfnissen und Sehnsüchten bel
Mein Herz zog sich zusammen, als ich begriff, dass auch ich so leben konnte, ich war auf dem besten Wegdahin. Aber ich hatte eine Wahl. In diesem Moment konnte ich eine echte und folgenschwere Entscheidung treffen: Liebe oder Sicherheit, Leblosigkeit oder Schmerz, Risiko oder eine behütete Existenz. Ich wusste nicht, was ich wählen oder wofür ich mich entscheiden sollte, aber es musste etwas geschehen.
Mein Herz drängte in die Zeit zurück, die ich mit Hutch O’Brien verbracht hatte.
Nachdem Hutch und ich uns an jenem Abend in der Bar kennengelernt hatten, wurden wir unzertrennlich. Schlaf und Nahrung wurden unwichtig. Wir glaubten fest, zu den wenigen Glücklichen zu gehören, die ihre andere Hälfte gefunden hatten. Wir beendeten die Sätze des anderen. Wir hatten die gleichen Bücher gelesen. Wir hatten dieselbe Musik gehört.
Schließlich nahm ich Hutch mit nach Hause und stellte ihn meinen Eltern vor, und vielleicht begann hier das Ende, denn nichts bleibt, wie es ist. Besonders nicht nach der Begegnung mit meiner Mutter.
Hutch und meine Mutter lernten sich an Thanksgiving in meinem ersten Uni-Jahr kennen. Der Esstisch in unserem Haus war gedeckt, das Familiensilber und teure Porzellan glitzerten und glänzten, die Kerzen strahlten wie diese komischen Wunderkerzen, die wir als Kinder immer zu Silvester angezündet hatten. Hutch sah in der Bibliothek mit Dad
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