Die Schwere des Lichts: Roman (German Edition)
das Foto wiederfinden.« Hutch drehte an den Knöpfen und stellte das Bild scharf.
Wartend verschränkte ich meine Hände ineinander, ummeine Finger davon abzuhalten, der Linie seiner Haare vom Ohr zum Nacken zu folgen.
Er streckte die Hand hinter den Stuhl aus, den Blick immer noch im Sucher. »Geh nicht weg. Warte.« Ohne hinzugucken, fand seine Hand meine, und ich ließ zu, dass er mich festhielt, bis er sagte: »Hier ist es.«
Der Blick in das Lesegerät führte mich an einen Ort und in eine Zeit, von denen ich keine Ahnung gehabt hatte. Meine Mutter saß an einem Cafétresen, links neben ihr ein dunkelhäutiger Mann, rechts ein weißer. Mutter blickte mit einem entschlossenen Lächeln über ihre Schulter in die Kamera. Die Gesichter der beiden Männer konnte ich nicht erkennen, weil sie der Kamera abgewandt saßen. Unter dem Foto stand: »Gesetze zur Aufhebung der Rassentrennung auf dem Prüfstein in Murphy’s Café«.
Ich sah Hutch an. »Wow.«
»Unglaublich, nicht wahr? Ich habe den Artikel gelesen. Deine Mutter wird zitiert, dass alles friedlich blieb. Sie haben gegessen und sind wieder gegangen, aber der Wirt hat deine Mutter und die beiden Männer gebeten, nie wiederzukommen. Sie hätten ihren Standpunkt vertreten, aber jetzt sollten sie ihn bitte in Ruhe lassen, damit er keinen Ärger mit dem Ku-Klux-Klan b
»Wer sind die beiden Männer?« Mein Herz klopfte heftig, und ich blinzelte wieder durch den Sucher, versuchte sie im Geiste umzudrehen, damit ich ihre Gesichter sehen konnte.
»Das steht da nicht.« Er hielt inne und stand dann so abrupt auf, dass sein Stuhl rückwärts umkippte. Er hob ihn wieder auf und sagte: »Ich habe eine brillante Idee. Komm mit.« Er drückte auf »Drucken«, und währendzwei Kopien des Artikels ausgedruckt wurden, sammelte er seine Sachen zusammen. »Du kommst mit.«
»Okay … wohin?«
Er gab mir eine Kopie. »Dahin.« Er zeigte auf das Café. »Genau dahin.«
Murphy’s Café sah aus wie eine Postkarte aus den sechziger Jahren, samt blinkendem Neonschild und mit rotem Plastik überzogenen Tischen und Sitzbänken am Fenster. Auf der langen Theke standen Pfeffer-und Salzstreuer in Metallständern, unter das Salz waren Reiskörner gemischt, damit es nicht verklumpte. Die Plastiksets auf der Theke zeigten den Umriss von Alabama, darunter stand Sweet Home Alabama . Auf meinem Set war ein Kaffeefleck, der der »e« in Sweet wie ein »a« aussehen ließ.
»Guck mal«, sagte ich zu Hutch. »Sweat Home Alabama.«
Er lachte. »Ende Juni ist das genau die richtige Bezeichnung – da rinnt der Schweiß.«
Die Kellnerin, in einer weißen Rüschenschürze, lief zu uns herüber. Ich kam mir vor wie in einem Schwarz-Weiß-Film. »Was wollen Sie?«, fragte sie.
Ich schaute mir die Bilder auf der laminierten Speisekarte an. »Das Hamburger-Sandwich sieht gut aus«, sagte ich. »Mit Pommes und Cola.«
Hutch bestellte einen Cheeseburger und ging dann zur Herrentoilette. Ich las mir derweil die uralten Artikel über lokale Sportereignisse durch, die überall gerahmt an den Wänden hingen. Lauter Berichte über Touch-Downs und Home-Runs und Meisterschaften.
»Ellie …« Hutch rief meinen Namen, ich blickte über meine Schulter.
Ein Blitz ging los, ich blinzelte, und Lichtkonfetti wirbelte durch die Luft. »He«, rief ich. »Keine Paparazzi.«
Er setzte sich mit der Kamera neben mich. »Ich konnte einfach nicht widerstehen.«
Unser Essen kam, und ich zog den Zeitungsartikel über das Sit-in hervor. »Sie haben also genau hier gesessen. Ich frage mich, wer die beiden Männer sind.«
»Sie wollten nicht mit der Presse reden, aber deine Mutter war mehr als bereit dazu, Ellie. Sie hat ihren Namen genannt und erklärt, was sie da machen. Sie hatte vor nichts und niemandem Angst … scheint es.«
»Und«, sagte ich lachend, »sie hat sich offensichtlich ganz und gar unangemessen benommen.«
»Wie?«
»Mein ganzes Leben lang, mein ganzes verdammtes Leben lang hat sich diese Frau immer nur darum gesorgt, was angemessen war und was nicht. Und jetzt sieh sie dir an.« Ich biss ein großes Stück von meinem Sandwich ab und wischte mir das Fett vom Kinn.
Wir wandten uns einander zu, unsere Knie berührten sich. »Was, meinst du, hat sie verändert?«
»Ihr Herz ist gebrochen, und dann war sie Ehefrau und Mutter. Ende. Ich glaube … ich glaube, diese Erfahrung – was immer da auch war zwischen ihr und diesem Mann – hat ihr das Herz ein für alle Mal gebrochen, und sie beschloss,
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