Die Schwester der Königin - Gregory, P: Schwester der Königin
zu denen |257| scheinst du zu gehören, meine liebe Schwester. Auf Wiedersehen.«
Ich machte auf dem Absatz kehrt, und ihr blieb nichts weiter übrig, als dem Geleittrupp zuzunicken und mit ihm durch das Tor auf die Straße nach Kent zu reiten.
Sobald wir uns für die Weihnachtsfeierlichkeiten in Greenwich eingerichtet hatten, war klar, was aus der Königin werden würde. Man wollte sie schlicht ignorieren, und allen bei Hof wurde so kundgetan, daß sie in Ungnade gefallen war. Es war grausam anzusehen.
Katherines Neffe, der Kaiser von Spanien, ahnte, was vor sich ging. Er schickte einen neuen Botschafter nach England, Botschafter Mendoza, einen gerissenen, von Jesuiten ausgebildeten Rechtsanwalt, der sich sicher vor dem König für sie einsetzen würde, um das Bündnis zwischen England und Spanien wiederaufleben zu lassen. Ich beobachtete, wie mein Onkel sich flüsternd mit Kardinal Wolsey beriet, und vermutete, daß bei diesen Gesprächen bestimmt nicht der Weg für Botschafter Mendoza geebnet wurde.
Ich hatte recht. Das gesamte Weihnachtsfest hindurch erhielt der neue Botschafter nicht die Erlaubnis, sich bei Hof vorzustellen. Es wurde ihm nicht gestattet, dem König seine Aufwartung zu machen, ja, er durfte nicht einmal die Königin besuchen. Alle ihre Briefe wurden abgefangen. Selbst ihre Geschenke nahmen die Kammerdiener in Augenschein.
Weihnachten ging vorbei, das Dreikönigsfest war gekommen, und immer noch durfte der neue spanische Botschafter die Königin nicht sehen. Erst Mitte Januar beendete Wolsey sein Katz-und-Maus-Spiel, erkannte Botschafter Mendoza als legitimen Gesandten des spanischen Kaisers an und gestattete ihm, seine Papiere bei Hof vorzulegen und der Königin seine Botschaften zu übermitteln.
Ich hielt mich gerade in den Räumen der Königin auf, als ein Page des Kardinals kam, um ihr mitzuteilen, daß der Botschafter gebeten hatte, ihr seine Aufwartung machen zu |258| dürfen. Sofort sprang sie mit gerötetem Gesicht auf. »Ich sollte mich umziehen, doch dafür ist keine Zeit mehr.«
Ich stand als einzige Hofdame hinter ihrem Stuhl, denn die anderen gingen alle mit dem König im Garten spazieren.
»Botschafter Mendoza bringt mir gewiß Nachrichten von meinem Neffen.« Die Königin ließ sich auf ihrem Stuhl nieder. »Ich bin sicher, er wird das Bündnis zwischen meinem Neffen und meinem Gatten wieder festigen. Es sollte innerhalb der Familie keinen Streit geben. So lange ich zurückdenken kann, existiert eine Allianz zwischen England und Spanien. Es ist nicht recht, daß wir uns uneinig sind.«
Ich nickte, und dann ging die Tür auf.
Es war nicht der Botschafter mit seinem Gefolge, der Geschenke und Briefe und private Schreiben von ihrem Neffen brachte. Es war der Kardinal, der Erzfeind der Königin, und er führte den Botschafter in ihre Gemächer, beinahe wie einen Gefangenen. Mendoza durfte nicht allein mit der Königin reden, jedes Geheimnis, das er vielleicht in seinem Gepäck mitgeführt hatte, war längst entdeckt. Dieser Mann würde das Bündnis mit Spanien nicht neu schmieden, er würde der Königin ihre Stellung bei Hof nicht zurückgeben können.
Als die Königin ihm die Hand reichte, war sie so ruhig wie eh und je. Niemand hätte aus ihrem Benehmen schließen können, daß zusammen mit dem verärgerten Botschafter und dem lächelnden Kardinal das Verhängnis in ihre Gemächer eingetreten war. Ihr war klargeworden, daß ihr weder Freunde noch ihre Familie helfen konnten, daß sie vollkommen allein und schutzlos war.
Ende Januar wurde ein Turnier abgehalten. Der König weigerte sich, dabei mitzureiten. An seiner Statt sollte George die königliche Fahne tragen. Er gewann und erhielt zum Dank ein Paar neue Lederhandschuhe.
In jener Nacht traf ich den König in finsterster Laune an. In einen dicken Rock gehüllt saß er in seinem Gemach vor dem |259| Kamin. Eine halbgeleerte Weinflasche stand neben ihm, eine weitere lag in der weißen Asche des Kamins.
»Geht es Euch gut, Majestät?« fragte ich vorsichtig.
Er blickte auf, und ich bemerkte, daß die blauen Augen blutunterlaufen waren, sein Gesicht eingefallen.
»Nein«, erwiderte er leise.
»Was ist denn los?« fragte ich sanft. Er schien mir heute kein König der Schrecken zu sein, sondern ein trauriger Junge.
»Ich bin heute nicht im Turnier geritten.«
»Ich weiß.«
»Und ich reite nie wieder.«
»Niemals?«
»Möglicherweise.«
»Warum denn nicht?«
Er hielt inne. »Ich hatte Angst. Ist das nicht
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